http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_02/0024
Farbe und zeichnerische Modellierung stehen zueinander
insofern in einem abschliessenden Verhältnis
, als der eine Teil mehr zurücktreten muss,
soll der andere stärker hervorgehoben werden.
Will man aber dem Eindruck der Natur nach Möglichkeit
nahe kommen, so lässt sich das nur dadurch
-erreichen, dass ein jeder dieser beiden Teile entsprechend
abgedämpft wird. Ein verfehltes Bestreben
ist es, Form und Farbe in voller Stärke
verbinden zu wollen. Fast zu allen Zeiten hat ihm
freilich die Masse der Maler, also der Durchschnitt,
gehuldigt; aber nur ganz vereinzelt ist es einem
besonders hervorragenden Künstler, wie am meisten
noch Jan van Eyck und Holbein, gelungen, sich
einem solchen Ideal einigermassen zu nähern. Gewöhnlich
wird dieser Realismus, der dem ungeschulten
Auge der grossen Menge entgegenkommt
und schliesslich in der Theater- und Panoramenmalerei
seine höchsten Triumphe feiert, nur zur
Unnatur, zu jener Scheinkunst führen, die den Eindruck
der Natur hervorrufen will, thatsächlich aber
die grösste Unwahrheit darstellt, da sie über dem
Streben nach Deutlichkeit die Einheitlichkeit der
Erscheinung aus dem Auge verliert.
Wie der Maler nur einen Teil der Naturerscheinungen
mit seinen Mitteln wiederzugeben
vermag, so wird er um dieser Einheitlichkeit willen
auf manches zu verzichten, anderes aber wieder zu
ergänzen haben, will er sich nicht mit der Wiedergabe
eines beliebigen Ausschnitts aus der Natur begnügen
. Was er zu bieten vermag, ist nur ein
Gleichnis, eine Annäherung an die Natur, die sich
mit ihr nicht deckt, sondern zu ihr im Verhältnis
des Parallelismus steht. Wie der Maler weiterhin
nur gewisse Gegenstände als für die Darstellung
auf der Fläche geeignet befinden, andere aber
dem Plastiker überlassen wird, so wird er
auch nach dem Gegenstande, den er ins Auge
gefasst hat, sich entweder für die farblose Darstellung
in Stich oder Zeichnung, oder für die farbige
als Gemälde entscheiden, wobei er wiederum zu
berücksichtigen haben wird, welche Art der Vorführung
hierfür besser am Platze ist, die dekorative,
die schönfarbige oder die im Helldunkel.
Neben diesen Beweggründen, die in dem Gegenstande
selbst liegen, wird die persönliche Anlage,
die den einzelnen Künstler dazu hinleitet, die Farbe
mehr oder weniger stark zu betonen, wohl auch
zur Geltung kommen; doch wird sie stets zurücktreten
gegenüber (dem Einfluss, den die zur Zeit
herrschende Anschauung und Technik auf ihn
ausübt. Zum Einteilungsprinzip eignet sich also
auch auf diesem ganz persönlichen Gebiet der
Kunstübung nicht sowohl die individuelle Eigenart
der Künstler als die verschiedene Behandlungs-
weise der Farbengebung, welche in den einzelnen
Zeiten der geschichtlichen Entwicklung herrschend
gewesen ist.
Woldemar von Seidlitz.
Piero della Francesca.
Sigismondo Malatesta, vor dem hl. Sigismund knieend.
Fresko. Rimini, S. Francesco.
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