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treu gehaltener Schwur! Sie wollten
nicht sich an dem künstlerischen
Gut der Renaissance bereichern,
sie wollten da anfangen, wo Raffael
angefangen habe, bei einer Kunst,
welche kindlich, unbefangen sei, bei
Perugino, bei dessen florentiner
Zeitgenossen. Sie wollten die Natur
geben, wie sie ist, ohne sie nach
berühmten Mustern zu verschönen,
sie wollten treu sein im Grossen
und in der letzten Kleinigkeit, treu
gegen die Natur und treu gegen
sich selbst, indem sie nur darstellten
, was sie wirklich gesehen
und empfunden hatten.
Zwei etwas ältere Meister waren
ihnen Vorbild: George Watts und Ford Madox
Brown. Watts war damals schon ein fertiger
Künstler, er ist sein Lebenlang sich gleich geblieben:
Wahrlich einer der grössten unter den Lebenden.
Ein Mann von eigener Kraft und eigener Schwäche
der Farbe. Innerhalb^ eines bestimmten Tones, der,
wenn man nun unbedingt Anklänge suchen will, am
meisten an Tintoretto erinnert, einer Mischung von
Violett und Elfenbein, ist er von erstaunlicher Farbigkeit
, so farbig wie Rubens, obgleich der ja eigentlich
nur eine Farbe kennt: Braun. Er ist ein Mann der Gedanken
: Er malt gern Allegorien, Liebe und Leben
oder Mammon oder Hoffnung. Das sind nun frei-
. lieh recht abgedroschene Vorwürfe, wenn man die
Allegorie im bewährten alten Stil auffasst. Die Hoffnung
als ein wohlgenährtes, die Augen nach oben
wendendes Jüngferchen in klassischem Gewand mit
dem Anker — oder hat der Glaube den Anker?
Nun gut, dann ist's eben der Glaube! Nicht solche
Allegorien malt er, sondern er lebt sie aus, er lässt
sie uns vorleben, er schafft wirkliche Wesen, in denen
der Gedanke herrscht, den er uns vormeistern will.
Das ist nicht Realismus im derben Sinn, es ist nur
die Kraft, Menschengebilde lebendig zu machen, das
Reale, das Thatsächliche an Watts' Kunst.
Brown war der eigentliche Pathe der ganzen
Brüderschaft. Er gehörte ihr nicht an, aber er beriet
sie väterlich. Er ist allezeit seinen Weg allein
gegangen, nicht weil er gegen jene etwas einzuwenden
gehabt hatte, sondern weil das Alleinsein in seiner
starken Natur lag. Ich weiss nicht, welches Gesicht
viele von denen machen würden, die jetzt in Deutschland
und Frankreich die Präraffaeliten zum Bannertuch
ihrer kritischen Lärmtrompete machen, w7enn
sie plötzlich in einer Ausstellung vor Browns Hauptbilder
, wie „Cordelia" oder „Die Arbeit" träten.
Kaum ist ein Künstler weniger in eine Schule und
in ein Prinzip einzufangen wie dieser wunderliche
Kauz mit seinen Falkenaugen und
dem Fleiss, ihnen ins kleinste mit
dem Pinsel zu folgen, dieser Maler,
der scheinbar die Absicht vergass,
ein Bild zu malen, indem er die
Natur malte. Einer solchen nicht
aus Absicht, sondern aus einer
Sonderart der Beanlagung hervorgehenden
Selbständigkeit ist schwer
gerecht zu werden. Und man ist
ihr auch nicht gerecht geworden.
Brown hat keine der offiziellen
Ehren Englands genossen, Künstler
kauften nach seinem Tode eines
seiner Bilder, um es der Nationalgalerie
durch Geschenk aufzuzwingen
. Nur dort, wo die Kunst
überhaupt jung ist, wo man vom alten Idealismus
noch nicht viel gehört hatte, in den rauchigen
Fabrikstätten von Liverpool, Manchester hatte er
seine Gemeinde.
Ohne besondere Ehrung, wenigstens nicht als
Maler, mehr als Dichter, schied Rossetti aus dem
Leben. Ihn hatte nicht knorrige Kraft, sondern
nervöse Empfindlichkeit in den Winkel der Einsamkeit
gedrückt. Er war das eigentliche Karnickel
des ganzen Präraffaeliten-Streites, indem er den Bestrebungen
der Genossen den Namen gab, an welcher
die Kritik nun sich festklammerte; und er floh zuerst
aus der Oeffentlichkeit in den kleinen sektenhaften
Kreis von Gesinnungsgenossen. Sohn eines neapolitanischen
Flüchtlings, eines Mannes, der ganz in Dante
lebte, zu dessen besten Kennern er gehörte, dessen
ganzes Haus Danteschen Geistes voll war, erkannte
er ohne viel kunstgeschichtliche Spekulation die
Uebereinstimmung des eigenen realistischen Strebens
mit dem der alten Florentiner. Er wollte nicht sie nachahmen
— er kannte sie ja auch viel zu wenig, um
dies thun zu können, aber ihn führte seine Anschauung
zu ähnlichen Ergebnissen: Ecce ancilla Domini!
Wie kühn die Jungfrau verkürzt ist, wie selbständig
die Komposition (Taf. 7). Das Mädchen ist Rossettis
Schwester: Man braucht nur in Millais' „Isabella und
Lorenzo" (Taf. 23) seines Bruders William Bildnis
mit dem der Jungfrau zu vergleichen, um zu erkennen
, dass das Dantehaus in London über dem
ganzen Getriebe der jungen Maler seinen Schein,
seine südländische Lebhaftigkeit, seine schwermütige
Emigrantenstimmung breitete.
Ein echter Britte blieb Holman Hunt, der Künstler
unter den drei Führern der Brüderschaft, dessen Tag
ganz und recht erst noch kommen wird. Er ist
Brown verwandt in seiner rücksichtslosen Selbständigkeit
. Ein Realist von reinstem Wasser, vollkommen
erfüllt von idealem Streben. Um die Flucht nach
Hunt, Jugendbildnis Rossettis.
Aus Magazine of Art 1889.
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