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argen Irrtums unter Grünewalds Namen und lebten
dann in der Litteratur fort als Arbeiten des „Pseudo-
Grünewald". Die richtige Auffassung, dass niemand
anders als Cranach diese Tafeln geschaffen hätte,
drang mühsam durch, obwohl sie von dem besten
Kenner der deutschen Malerei, von Ludwig Scheibler,
energisch vertreten wurde, und ist auch heute noch
nicht allgemein anerkannt.
Ueber Cranachs Kunst, wie sie sich zwischen
1520 und 1530 entwickelte und im Norden und
Osten Deutschlands zu kanonischer Geltung kam,
brauche ich nicht viele Worte zu machen, da die
Anschauung von dieser Kunst in fast allen Gemäldegalerien
der Welt zu erlangen ist. Die Absicht
ist stets auf Zierlichkeit und Grazie ee-
richtet, auf Ziele, die der Anlage des Meisters
nicht gesetzt waren. Der gute Instinkt für die
Bethätigungsgebiete der eigenen Begabung ist dahin
. Die Erfindung ist kahl und entbehrt der
schöpferischen Gestaltungskraft. Die Form ist
tvpisch und ermüdend gleichartig, die Malerei emailartig
glatt und unlebendig.
In dem weiten Felde der Kunstgeschichte wird
kaum ein zweiter Meister zu finden sein, dessen
starke Natur in eben dem Grade verdorrte und
verkümmerte.
Max J. Friedländer.
Max Liebermann.
UEBER wenige Maler sind so viele Seiten und
Bogen voll geschrieben wie über Liebermann
— wirklich entmutigend viel für den, der allen diesen,
oft sehr sachkundigen Betrachtungen noch etwas
hinzufügen möchte. Schon früh sah man ihn als
den Vertreter einer neuen Richtung in der Kunst,
namentlich in der deutschen Kunst, an und so sind
aus den vielen Abhandlungen über seine Werke fast
ebenso viele Streitschriften gegen den Akademismus,
den Pseudo-Idealismus oder irgend einen anderen
herrschenden „ismus" geworden, ja oft wurden sie
vollends zu Apologien einer sogenannten neuen
Lebensanschauung.
Es kommt mir aber vor, als sei etwas zu viel
die Rede gewesen von Liebermanns „Programm",
zumal weil er selbst sich nicht allzuviel um ein
Programm kümmern dürfte; er ist nicht der Vertreter
eines Systems, er ist lediglich ein begabter
Künstler.
Und dessen dürfen wir uns freuen. Denn was
kümmern uns jene Theorien, welche heute als nagelneu
in die Welt geschickt werden, um morgen wieder
von noch neueren verdrängt zu werden! Jedes
System ist gut, in jeder Richtung kann man mit
Erfolg arbeiten, wenn es nur mit Talent geschieht.
Die Theorien werden verdrängt, nur was das Talent
hervorgebracht, lebt und bleibt. Ist nicht die ganze
Kunstgeschichte Zeugnis hierfür?
Gab nun Liebermanns Kunst zu philosophischen
Betrachtungen Anlass, so ist es offen gesagt eben
nicht das, was sie mir lieb macht, und es scheint
mir unrecht, sie nicht blos um ihrer selbst willen
zu betrachten. Denn dadurch, dass man in Liebermann
namentlich den Vertreter einer gewissen Schule
sieht, unterschlägt man die beste seiner Eigenschaften,
die Unbefangenheit, die für sein Talent so bezeichnend
ist. Gewiss, in der Wahl seiner Vorwürfe sowie
in dem ganzen Gang seiner Ausbildung wäre wohl
hie und da Absicht zu entdecken, und es fällt mir
nicht ein, diesen energischen, geistreichen und mit
völliger Ueberlegung handelnden Menschen als naiv
zu bezeichnen. Ich möchte nur behaupten, der
innere Wert seines künstlerischen Wesens liege in
der Unbefangenheit, wie er zu sehen, nachzufühlen
und wiederzugeben vermag.
Ich als Holländer und meine Landsleute, wir
können das besser als andere erkennen. Haben
wir doch seit unserer Kindheit traulichen Verkehr
mit allem dem, was wohl die besten Gemälde
Liebermanns uns schildern. Jene Gestalten „aus
dem Altmännerhaus", jene Waisenmädchen, jene
Flachsspinnerinnen, Wäscherinnen und Klöpplerinnen
, jene Fischer und Netzflickerinnen, jene
Hirten, Schuster, Bauern und Weber, wir haben
sie allesamt näher kennen gelernt, als es Liebermann
selbst möglich gewesen ist. Er aber weiss an ihnen
etwas Charakteristisches zu entdecken, etwas, das
wir zu sehen verlernt haben und das vielleicht doch
ihr wirkliches Wesen am nächsten berührt. Er schaut
alle jene Dinge frisch, unmittelbar an, er sieht sie
unbefangen, und hierin liegt, meines Erachtens, seine
Kraft.
Ebenso wie zum Leben und Treiben des
holländischen Volkes, ebenso verhält er sich als
malerischer Schilderer zu der ganzen Welt. Andere
sahen und erfassten sie wohl schöner, tiefer, mächtiger
selten aber frischer. Und eben durch
diese jugendliche, unmittelbare Frische steht er
manchem alten Meister näher als jene kurzsichtigen
Sklaven der Form, die, sich mit einer Tradition
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