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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_02/0036
Sammlung mit Recht eröffnet worden ist. Will man
aber den Gegensatz der realistischen und idealistischen
Porträtkunst des 16. Jahrhunderts, Holbeins und
Dürers unmittelbar so recht von Grund aus anschauen
, so halte man jenes Bildnis des Baseler
Meisters (Taf. 42) neben das Selbstporträt des Nürnbergers
, das früher (Bd. I, Taf. 97) schon im Museum
erschienen ist: unendlich wird man alsbald den
bisher erhaltenen Eindruck vertiefen.

Wir sind am Schlüsse dieser Ausführungen.
Aber wir haben noch zu betonen
— und damit greifen wir
auf die Gedanken der einleitenden
Worte zurück —,
dass mit den unmittelbaren
Ergebnissen zur Geschichte
des Porträts selbst die Tragweite
dieser kurzen Bemerkungen
nicht erschöpft ist.

Das Porträt bedarf nicht
eigentlich des Lichtes im eminenten
Sinne. Die neueste
Zeit hat uns allerdings Freiluftbildnisse
gebracht. Allein
sie werden schwerlich jemals
die einzige Art des Porträts
werden. Ein Porträt will,
wie der dargestellte Mensch
selbst, intim gesehen werden,
in der Nähe, in einer Entfernung
, wo die vollen Zauber
des Lichtes, die immer einen
gewissen Abstand von dem
gemalten Gegenstand voraussetzen
, weniger wirken als die
objektiveren Momente der
Farbe und des Conturs und
der durch diese vornehmlich

ausgedrückten Plastik.

Das Porträt konnte infolgedessen
Höhepunkte seiner Entwicklung erreichen
schon in den Zeiten Dürers und Holbeins:
Zeiten, welche die volle Wirkung auch nur in bestimmter
Weise geführten Lichtes, geschweige denn
des freien Lichtes noch in keiner Weise künstlerisch
bewältigten. Es konnte in gewisser Weise
vollendet sein, sobald man Farbe meisterte und Umriss.

Eben dies aber war mit dem 16. Jahrhundert
der Fall. Und so wird die Geschichte des Porträts
bis in diese Zeit hinein zugleich zu einer Art von
Specimen der Geschichte wie der Farbe so des Umrisses
. Wir haben unseren bisherigen Betrachtungen
freilich nur die Geschichte des Umrisses zu Grunde
gelegt; die Geschichte der Farbe würde ohne gleichzeitige
Heranziehung der Geschichte des Landschaft-

Grabmal des Erzbischofs Peter von Aspelt
(gest. i32o). — Mainz, Dom.

liehen schwerlich genügend zu überblicken sein. Auf
dem Gebiete des Umrisses aber haben wir gesehen,
wie das Thatsächliche des Porträt-Conturs anfangs
nur sehr oberflächlich, ornamental, kalligraphisch
bewältigt ward; wie dann eine Zeit eintrat, da die
Auffassung intensiver wurde und ins Typische, in
die Wiedergabe der sozialen und berufsmässigen
Form als des Wesentlichsten überging; wie darauf
eine noch intensivere, konventionelle, in der Ab-
breviierung des Thatsächlichen nur noch an den

Mode- und Schönheitssinn
der Zeit gebundene Wiedergabe
eintrat: bis endlich mit
dem Zeitalter der Individualismus
, seit etwa der Mitte des
15. Jahrhunderts der volle
Realismus des Conturs gewonnen
ward.

Es sind die Entwicklungsstufen
des künstlerischen Conturs
überhaupt. Mit Rücksicht
zunächst auf ihn ist unsere
älteste Kunst erst ornamental
, dann typisch, darauf
konventionell gewesen, ehe
sie den Dingen grade und
unverwandt in die Augen sah
und unverwandt und grade
mit dem Stifte ihre Umrisse
meisterte. Brauche ich da nun
noch zu bemerken, dass mit
der Reihenfolge dieser Phasen
steigend intensiverer Bewältigung
des Conturs die Reihenfolge
der Zeitalter unserer
Kunst bis ins 16. Jahrhundert
überhaupt gegeben ist? Dass
es möglich wäre, aus der
Behandlung des Conturs
allein die Reihenfolge dieser
Zeitalter auch noch bis zur Gegenwart hin zu entwickeln
? Die künstlerische Bewältigung der Erscheinungswelt
ist im Grunde eine, und wer sie an
einem Zipfel richtig und durchdringend erfasst, der
hat die Stufenfolge ihrer Vorgänge auch als Ganzes.

Dies Ganze aber klar zu überschauen, nicht bloss
einmal gesehen zu haben und sich seiner auf besonderen
Anlass zu erinnern, sondern in sich zu
tragen als eine künstlerische Lebenserfahrung von
unverbrüchlicher Gegenwart, ist Voraussetzung für
das intime, nunmehr von diesem Standpunkte aus
ästhetisch richtig einschätzende Verständnis und
damit den wahren, ungetrübten und durch keinerlei
Modetheorien umzustürzenden Genuss der Kunstwerke
der Vergangenheit. Karl Lamprecht.


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