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Verrohung des Gefühls verraten, hat
Tiepolo es vermieden, durch Hervorheben
des Entsetzlichen eine starke Wirkung
auf die Nerven des Beschauers auszuüben
. Es ist ungemein charakteristisch,
wie er einen der widerwärtigsten Stoffe,
das Martyrium der heiligen Agatha, behandelt
(Berliner Galerie). Tiepolo zeigt
nicht die Handlung selbst, sondern den
Augenblick nachher, wo die schöne
Heilige, mit brechenden, von der Ekstase
höchstgesteigerten religiösen Gefühles verklärten
Augen, zurücksinkt in die Arme
einer Frau, die schützend vor die verstümmelte
Brust ein Tuch presst. Erst
dadurch, dass sich das weisse Tuch blutig
färbt, wird unsere Aufmerksamkeit auf
das Ereignis gelenkt; wir bemerken, dass
es sich hier nicht um eine gewöhnliche
Ohnmacht, sondern eben um ein Martyrium
handelt. Der höchste farbige Reiz
hilft uns das Grausame, das im Stoff
selbst liegt, vergessen.
Am freiesten, unmittelbarsten giebt
sich uns Tiepolo vielleicht in seinen
zahlreichen Oelskizzen, in denen er seine
grossen Kompositionen, auch wohl seine
dekorativen Schöpfungen rasch fixiert hat.
Hier sieht man, wie ihm von vornherein
ein gefälliger, durch fein gewählte Farbenzusammenstellung
anziehender Gesamteindruck
vorschwebt, und diesen setzt
er geistvoll andeutend mit leichtem
Pinsel hin. Dieser Art Skizzen seiner
Hand giebt es noch eine grössere
Anzahl, und sie alle haben den vollen
Zauber der Rococokunst, so wie sie
sich in ihren reizendsten Augenblicken giebt.
Und doch, nur wenn Tiepolo bedeutende
Flächen vor sich hat, die er dekoriert, scheint
seine Begabung erst wirklich sich zu offenbaren,
dann wächst seine Persönlichkeit weit hinaus über
alle seine Zeitgenossen; die ganze Fruchtbarkeit
seines Geistes entfaltet sich unserem Blick. Ob
seine Bilder für Kirchen bestimmt sind, wie die
Deckengemälde in den Gesuati, in der Chiesa della
Pietä oder in den Scalzi zu Venedig, oder ob er
Paläste schmückt, wie Palazzo Clerici in Mailand,
Canossa in Verona, Rezzonico und Labia in Venedig,
die Villa Valmarana bei Vicenza und endlich die
Schlösser von Würzburg und Madrid, macht dabei
wenig Unterschied. Man merkt ihm an, wie so
freudig er die Gelegenheit benutzt, sich voll hinzugeben
dem Genuss des Schaffens. Gegenständlich
interessieren uns diese Schöpfungen alle unendlich
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Tiepolo, Die Griechen in Aulis.
Freskogemälde. — Vicenza, Villa Valmarana,
wenig. Wir fragen gar nicht danach, was für ein
Heiliger hier seinen triumphierenden Einzug in den
Himmel hält, oder ob es Phöbus Apollo sei, ob
Herakles, der auf dem von weissen Rossen gezogenen
Waagen dahinfährt. Den entzückenden Farbenreiz
solcher Schöpfungen lassen wir voll auf uns wirken,
und die geniale Bewältigung grosser Massen, ohne
zu fragen woher und warum.
In seinen Deckenbildern durchbricht Tiepolo
das feste Gewölbe und lässt den Beschauer in den
Himmel blicken. Zumeist bilden an den Seiten
kompakte Wolken, die man als feste Masse
empfindet, die Ruhestätte für allerlei allegorische
Figuren oder Verkörperungen von Tugenden, die
so recht anmutig gelagert sind und nicht ungern
etwas von dem Reiz jugendfrischer Körper zeigen.
Die Mitte aber ist der offene, lichte blaue Himmel,
durch den ein Viergespann dahinsprengt, in dem
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