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Florentiner Stecher des XV. Jahrh. (vermutl. nach Botticelli), Bacchus und Ariadne.
Kupferstich in 2 Stücken (verkleinert). London, British Museum.
Sandro Botticelli.
SANDRO BOTTIGELLFs Auge und Hand sind
die natürlich frischen Organe und scharfen Werkzeuge
des florentinischen Künstlers der Frührenaissance
, aber der Wirklichkeitssinn seiner zeitgenössischen
Vorbilder, Fra Filippo, Verrocchio,
Pollajuolo, wird bei Sandro nur Mittel zu dem
Zwecke, den ganzen Kreislauf menschlichen Gefühlslebens
, von stiller Schwermut bis zu heftiger Erregtheit
zum Ausdruck zu bringen.
Im Dämmerlichte jener liebenswürdigen Schwermut
verständnisinnig zu verweilen, gehört heute zum
guten Ton der kunstfreundlichen Welt; wer jedoch
nicht nur sich selbst in Sandro's Temperament gefallen
, ihn vielmehr als Künstler psychologisch verstehen
will, der muss ihm auch in das helle Tageslicht
seiner Thätigkeit als Schilderer leidenschaftlich
bewegten körperlichen und geistigen Lebens und auf
den verschlungenen Pfaden folgen, die er als williger
Illustrator der gebildeten florentinischen Gesellschaft
so häufig zu wandeln hatte.
Das Jahr 1481, in dem Botticelli als 35jähriger
Mann nach Rom berufen wurde, um im Wetteifer
mit den besten Künstlern seiner Zeit an der Ausschmückung
der Sixtinischen Kapelle teilzunehmen,
ist ein geeigneter Zeitpunkt, um Sandro's Lebensweg
„auf halbem Wege seiner Lebensreise" zu überblicken.
Um sich Sandro's Jugendperiode vor 1475 vorstellen
zu können, geben nur wenige wirklich authentische
Werke dürftigen Anhalt, die die Art seiner jugendlichen
Befangenheit ungefähr veranschaulichen.
Dagegen gehören dem verhältnismässig kurzen
Zeitraum von 1475—80 bereits eine Reihe von
Werken an, die Botticelli's technische Fähigkeiten,
Auffassungsweise und Ideenkreis umfassend repräsentieren
.
Von diesen zeigen vor allen zwei Bilder, das
Rundbild der schreibenden Madonna in den Uffizien,
das sogenannte „Magnifikat" (Tf. 74), und das „Reich
der Venus", der „Frühling" (Bd. II Tf. 2), auf welche
Weise es Sandro gelang, zwei ganz entgegengesetzte
künstlerische Probleme der Frührenaissance individuell
zu verarbeiten, indem er einerseits für das religiöse
Andachtsbild, das unerschöpfliche Thema italienischer
Kunst seit ihren ersten Anfängen, eine neue
Vortragsweise fand und andrerseits die im Entstehen
begriffenen Vorstellungen von antiker Götterwelt zum
erstenmale im monumentalen Bilde festhielt.
Betrachten wir zunächst das Magnifikat: Maria,
das Christkind auf dem Schosse, hat die Worte
ihres Lobgesanges auf den Herrn, der sie, die niedrige
Magd, erhöht (Luc. I, 46), in ein Buch eingetragen,
das ihr ein knieender Engel zusammen mit dem
Schreibzeug darbietet. Während sie die Feder eintauchen
will, um die letzte Reihe zu schreiben, weist
das Christkind, die Hand auf ihren ausgestreckten
Arm legend, auf die Worte des Magnifikat und
blickt zugleich zur Strahlenglorie des heiligen Geistes
und zur Krone empor, die zwei Engel über dem
Haupte der Gottesmutter, als feierliche symbolische
Bestätigung ihrer höchsten Erhöhung, halten. Komposition
und Typen zeigen, dass Sandro sich zum
erstenmal am „Tondo" versuchte. Die Rundform
des Bildes, nicht mehr wie bei Fra Filippo nur
ein zufälliger Durchblick durch ein rundes Fenster,
ist dadurch begründet, dass Mariä demutsvoll
geneigte Körperhaltung durch die Linie der Umrahmung
wiederholt und so auch äusserlich als beherrschendes
Motiv der Komposition betont wird.
Dagegen erschwert die Kreislinie eine klare Uebersicht
über die Gruppe der Engel, von denen sie nur Köpfe,
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