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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_02/0051
Gewährsmann für diese durch Zephyrs Berührung
entstandene zauberhafte Fähigkeit Floras ist), so
überrascht uns noch mehr die Thatsache, dass die
Gruppe der fliehenden Flora und des verfolgenden
Windgottes bis auf die Einzelheiten des bewegten
Beiwerkes in Haar und Gewandung der Schilderung
Ovids genau nachgebildet ist.

Hierfür noch ein anderes, bisher unerkanntes
Beispiel: Die Zeichnung Botticelli's aus der Malcolm-
Sammlung (vgl. Abb. S. 38), welche eine Allegorie
der Fruchtbarkeit vorstellt. Eine junge Frau, in
laufender Bewegung, gegürtet, mit flatterndem Haar,
bringt in der Rechten ein grosses Füllhorn mit
Aepfeln, an der Linken führt sie zwei, Trauben und
andere Früchte tragende, Putten. Es ist die Nymphe,
die Ovid erscheinen lässt, nachdem Achelous erzählt,
dass sein Horn, der ihm von Herakles im Zweikampf
geraubte Kopfschmuck, von freundlichen Najaden,
mit Aepfeln und wohlriechenden Blumen gefüllt,
zum Füllhorn der Fruchtbarkeit gemacht worden
sei. „So sprach er, und eine Nymphe, nach Art
der Diana gegürtet, deren loses Haar auf beide
Schultern herabfiel, kam eilend herbei und trug
im überreichen Horn den ganzen Herbst und
den Nachtisch der freudespendenden Aepfel."
Der Körper in schreitender Bewegung, das enganliegende
, gegürtete, flatternde Gewand, die wallenden
Haare (die Putten sind ein unwesentlicher Zusatz,
um auch die andern Früchte des Herbstes anzubringen
), das waren auch hier die Motive, die
Botticelli zu getreuer Verkörperung anregten. Die
„Ueberraschung" über des Malers illustrative Gefügigkeit
schwindet, wenn wir, statt bei der herkömmlichen
Phraseologie von Sandro's „höchst naiver
Auffassung der Antike" nichts zu denken, uns klar
zu machen suchen, dass Sandro's Anschluss an den
Dichter kein Aufgeben seiner Individualität bedeutet,
sondern nur die Reife einer Entwickelung beschleunigt
, der seine Natur von selbst zustrebt.

Sandro begnügt sich eben nicht dabei, durch
natürliche Begabung und Temperament befähigt zu
sein, die feinste Nüance beschaulicher Seelenstimmung
wiederzuspiegeln, er will nicht nur lyrisch dichten,
sondern auch dramatisch schildern können. Polizian's
gelehrte Kenntnis des Altertums kommt seiner
Phantasie und seinem bewussten Ehrgeiz auf halbem
Wege entgegen. Sie erleichtert den künstlerischen
Prozess und bestärkt ihn in der Vorliebe für gewisse
Motive. Schon bei Fra Filippo findet sich die lebensvolle
Gestalt der herbeieilenden Dienerin, doch erst,
seitdem Botticelli sich mit den Nymphen des Altertums
in Kunst und Dichtung vertraut gemacht, bekommt
die Figur der laufenden Frau jene schwungvolle
selbstbewusste Schönheit, in der sie zuerst auf
Sandro's Fresko in der Kapelle Sixtina (vgl. Abb.

S. 40) auftritt, wo Pinturicchio, Signorelli, Rosselli,
Ghirlandajo von Sandro [lernen, sie als dekoratives
Sinnbild der florentinischen ^Nymphe in die Kunst
einzubürgern.

Botticelli benutzt die Antike wie eines älteren
erfahrenen Kollegen Studienmappe, aus der ihn
dieses oder jenes Blatt anregt, ohne deshalb die
Gewissenhaftigkeit des eignen Naturstudiums zu verringern
oder die Formensprache im einzelnen
manieristisch zu beeinflussen, obgleich bei der kleinen
Gruppe der sogenannten Simonettabilder bereits die
Anfänge idealisierender Proportionsschemata, von
Vitruvs Angaben beeinflusst, nachzuweisen sind.

Es tritt jene auf massvolle Schönheit ausgehende
Wirkung der Antike, für uns seit Winckel-
mann das wesentliche Merkmal des Einflusses der
Antike, Ende des 15. Jahrhunderts noch ganz zurück
; denn nicht der Gipsabguss, wohl aber der festliche
Aufzug, in dem heidnische Lebensfreude eine
Freistätte volkstümlichen Fortlebens sich bewahrt
hatte, war die Form, in der die Gestalten des Altertums
in der bunten Pracht bewegten Lebens vor
den Augen der italienischen Gesellschaft leibhaftig
wiedererstanden. Bacchus und Ariadne auf dem
Kupferstiche (vergl. Abb. S. 37), dessen Zeichnung
wahrscheinlich von Botticelli stammt, sind gleichsam
das Symbol des Altertums, wie es die Frührenaissance
verstand. So sah man den Gott irdischen
Frohsinns, so schilderte ihn Gatull im rauschenden
Chor der Bacchanten und so erblickte Florenz ihn
wirklich im Festzuge auf dem Wagen thronen, zu
dem Lorenzo der Prächtige selbst das begleitende
Triumphlied gedichtet, heute das elegische Echo
jener Zeiten:

Quant' e bella giovinezza
Che si fugge tuttavia!
Chi vuol esser lieto, sia,
Di doman non c'e certezza.
Die Fresken in der Sixtinischen Kapelle zeigen
Sandro von einer ganz anderen Seite, als religiösen
Illustrator und zeitgenössischen Historienmaler. Er
hatte zusammen mit Pinturicchio, Rosselli und Ghirlandajo
, Perugino und Signorelli die Thaten des
Moses im Vergleich mit Christi Leben zu schildern,
der mittelalterlich theologischen Idee von der Parallelität
der Ereignisse im alten und neuen Glauben
entsprechend. Die Rotte Korah (Tf. 67/68) ist eines
der drei Fresken Botticelli's. Der Spruch auf dem
sonst getreulich kopierten Konstantinsbogen im
Hintergrunde: „Es masse sich keiner die Ehre an,
er sei denn, wie Aaron, von Gott berufen", erklärt
die innere Beziehung zu dem Fresko Perugino's, der
Schlüsselübergabe an Petrus, auf der Gegenseite:
die feierliche Einsetzung und Wahrung der Priesterwürde
im alten und neuen Bunde. Wie in den


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