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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_02/0052
Illustrationen Botticelli's zur Divina Gomedia
Dante und Vergil, unbekümmert um die Einheit
des Raumbildes, so oft auf demselben Blatte
erscheinen, als der Text es verlangt (vgl.Tf. 75),
so sehen wir auch Moses dreimal in verschiedenen
Scenen seines Wirkens als zorniger
Richter. Links thut sich auf sein Geheiss die
Erde auf, um die Rotte Korah zu verschlingen,
in der Mitte fleht er das rächende Feuer herab
und weiter rechts wird der Gotteslästerer
auf seinen Befehl zur Steinigung hinausgeführt.
Die Gruppe der drei Männer am Altar, die
in ohnmächtiger Verzweiflung gegen die
züngelnden Flammen gestikulieren, zeigt,
wie wenig Botticelli's gewaltsame äusserliche
Mimik das geeignete Mittel ist, für die tiefsten
Erregungen einen einfachen und ergreifenden
Ausdruck zu finden. Vor dem klassischen
Hintergrunde des Konstantinsbogens taucht
unwillkürlich aus unserer Erinnerung die Vision
der drei heidnischen Priester auf, die, wie die
Rotte Korah, beim. Opfer ein qualvoller Tod
strafend ergriff: Laokoon mit seinen beiden
Söhnen. Lag der Stoff auch als Illustrationsmotiv
nicht fern — Filippino, der Gehilfe Botticelli
's, von dem sich sogar noch ein Entwurf
für die Komposition der Rotte Korah in der
Zeichnungssammlung des Uffizi erhalten hat,
stellte, Vergil folgend, den Tod des Laokoon
dar —, so sollten doch noch fünfundzwanzig
Jahre verfliessen, ehe die meisterhafte
plastische Verkörperung dreifachen
Schmerzes dem Boden entstieg, um die Kunst
der Alten als Harmonie in der Bewegung zu
offenbaren. Unterdessen reifte die italienische
Malerei, den ornamentalen Zug zurückdrängend,
zu monumentalem, plastischem Formgefühl:
Michelangelo's Decke überwölbt die Mauern
der Sixtinischen Kapelle.

Zum Schluss sei noch eine Stelle aus dem
Gutachten eines sachverständigen Zeitgenossen über
Sandro, Filippino, Perugino und Ghirlandajo mitgeteilt
, das wir seit kurzem Müller-Waldes Forschungen
verdanken; von Sandro heisst es: „Sandro
Botticelli ist ein hervorragender Bild- und Freskomaler
; seine Werke haben männlichen Ausdruck
und sind mit bester Ueberlegung und Proportion
gemacht." Da derselbe Kritiker Filippino „piu
dolce" und Perugino „molto dolce" nennt, so war es
nicht Empfindungslosigkeit, sondern das Ergebnis
reiflicher Ueberlegung, dass ihm männliches ziel-

Boticelli, Ausschnitt aus „dem Opfer des Aussätzigen".
Fresko. Rom, Sixtinische Kapelle.

bewusstes Streben als Sandro's charakteristisches
Merkmal erschien.

Es blieb erst moderner sentimentaler Schönrednerei
vorbehalten, Sandro's innerstes Wesen als
„holde Naivität" oder „reizvolle Melancholie" dem
Publikum zum Genüsse anzubieten.

Botticelli trägt sein Temperament nicht wie ein
zierliches Gewand selbstgefällig zur Schau, sondern
wie eine beengende Hülle, die mit den unzureichenden
Mitteln des denkenden Künstlers zu erweitern,
das bewusste Ziel seiner Lebensarbeit gewesen ist.

A. Warburg.


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