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plastischem Schmuck zu versehen, die Pierre Lescot
für den feierlichen Einzug Heinrichs II. in Paris
auszuführen hatte. An der Ecke der rue aux Fers
und der rue St. Denis war eine Tribüne errichtet,
vor der eine grosse Kaskade angelegt war. In der
Mitte drei offene Arkaden, über, unter ihnen und
ihnen zur Seite der reiche Skulpturenschmuck
Goujons. Entsprechend dem Charakter als Brunnenaufbau
hatte der Bildhauer stehende Nymphen gewählt
, die aus den Urnen, die sie mit beiden Händen
halten, dünne Wasserstrahlen herniederrieseln lassen;
auf den langen Reliefs am Fusse war ein Triumphzug
von Tritonen, Nereiden und anderen Meerwesen
dargestellt. Die fünf grossen Nymphen sind meisterhaft
ausgeführt in ihren mannigfaltigen Motiven des
Haltens der Urne, in dem sorgfältig ausgeprobten
Kontrapost, in den rhythmischen Bewegungen; um
die schlanken, und doch weichen Körper legt sich
in dünnem Gefältel ein lang herabfallendes, hemdartiges
Gewand, bei einigen nur unter den vollen
Brüsten von einem Gürtel gehalten — es ist das ,,in
Wasser getauchte Hemd", das auch die Nymphe
im Schloss Anet trug.
Die drei an der Basis befindlichen langen Reliefs
wurden bei dem Aufbau auf dem Marche des Inno-
cents nicht wieder verwendet und sind in den Louvre
gelangt, wo sie die eine Wand der Salle Goujon
schmücken (Tf. 126). Fast gleichzeitig mit den
Tritonen im Löwenhof des Kölner Rathauses tauchen
hier in Paris diese Meeresgottheiten in der nordischen
Kunst wieder auf — welchen langen Weg haben sie
durchlaufen müssen seit ihrer ersten klassischen Ausprägung
durch Skopas! Es ist die wundervolle
technische Behandlung des Flachreliefs, die diese
Darstellungen vor allem auszeichnet. Mit welcher
vollendeten Meisterschaft ist nicht die Rückendrehung
der einen in der Muschel ruhenden Göttin dargestellt.
Hier scheint der Typus der Diana von Anet schon
vorgebildet zu sein. In der anderen ruhenden
Nymphe, die den von dem Sturmwind emporgewirbelten
Schleier mit beiden Händen festhält,
kommt dagegen ein ganz anderer Typus zum Durchbruch
. Der mächtigere Gliederbau, die breiten
Hüften, der Kopf mit der ganz klassischen Frisur
zeigen den zweiten Typus Goujons, den sehr viel
kälteren, regelmässigeren, der sich den antiken Formen
direkt anschliesst. Und das ist das Interessante
an diesem heute verstümmelten und auseinandergerissenen
Festbau zur Einzugsfeier des Königs:
das echt französische, graziöse, schlanke, temperamentvolle
Ideal kämpft mit dem ruhigen, kalten,
antikisierenden Kanon: die enggefältelten Gewänder
der Nymphen, sind sie zuletzt nicht auch der eben
damals in Frankreich bekannt gewordenen Ariadne
entlehnt? Für die Folgezeit bleibt der antike Typus
nur bei den architektonisch-dekorativen Arbeiten
Goujons herrschend, als es ihm ein zweites Mal
beschieden ist, mit Pierre Lescot zusammen zu
arbeiten. Das war an der Ausschmückung des
Louvre, die die letzten Lebensjahre unseres Künstlers
ausfüllt. Die Skulpturen in der Hoffassade sind
wohl nicht eigenhändige Arbeiten; ganz vollendet in
Erfindung und Ausführung sind aber wieder die
Dekorationen der Treppe Heinrichs II. und vor
allem der Schmuck der Musikantentribüne in der
Salle des cariatides. Es ist eine der bedeutsamsten
Stätten im Louvre: der einstige Vorraum zu den
Gemächern der Katharina von Medici sah die Hochzeitsfeier
Heinrichs IV. mit der Margarete von Valois,
dann die Ausstellung der Leiche des ermordeten
Königs, die Sitzungen der Liga und erlebte endlich
die Geburt der modernen französischen Komödie:
hier schlug Moliere seine Bühne auf, auf der er
selbst als Schauspieler auftrat. Die stummen Zeugen
aller dieser Ereignisse sind die vier riesigen Karyatiden
Goujons, die am Ende des Saales die Tribünen
tragen. Hier hat sich Goujon und hier hat sich die
französische Renaissanceplastik der Antike genähert,
so weit sie es überhaupt vermochten: diese starren
mächtigen Riesinnen scheinen ganz die elegante
Grazie seiner Diana zu verleugnen. Aber seit den
Karyatiden vom Erechtheion hat die Kunst keine
Gestalten hervorgebracht, die so ruhig und hoheitsvoll
, fast zum architektonischen Glied geworden, ihre
Last tragen, und denen man so gern glaubt, dass
sie wirklich diese Last zu tragen vermögen. Diesen
Typus greift dann auch Germain Pilon, Goujons
Nachfolger als erster Bildhauer des Hofes, auf. In
seiner ersten grösseren Arbeit, der Rundgruppe der
drei weiblichen Gestalten, die die Urne mit dem
Herzen König Heinrichs II. auf den Häuptern tragen,
schon 1561 ausgeführt, ruft er so nur noch etwas die
Erinnerung an Goujons früheren Stil wach (Tf. 127);
seine allegorischen Gestalten vom Grabmal des Königs
in St. Denis sind schon weit kälter, unpersönlicher,
lebloser. Nicht durch diesen zweiten — wir möchten
sagen: akademischen — Stil, aber durch seinen ersten
Stil voll anmutiger Grazie, jugendlicher Frische und
feurigen Temperaments, bei dem Diana von Poitiers
Pate stand, ist Goujon der Ahnherr der Plastik
seines Landes geworden. Er ist der erste eminent
französische Bildhauer.
Paul Clemen.
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