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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_02/0077
Griechische Porträts des vierten Jahrhunderts.

EIN bekanntes Wort des Malers Ingres bezeichnet Stellung auf die verschiedenste Weise angegriffen
das Porträt als den „Prüfstein des Künstlers", worden waren.
Aussprüche dieser Art, wie sie von Künstlern der Am Eingange steht das individuelle Porträt,
verschiedensten Zeiten überliefert sind, pflegen für Die Künstler der archaischen Zeit, des siebenten
die Epoche, nicht nur für den Einzelnen, dem sie und sechsten Jahrhunderts v. Chr., haben die Form
entstammen, charakteristisch zu sein. Ingres lebte in ganz rein wiedergegeben, wie sie sie sahen, ohne
einer Zeit, die das Bildnis in hervorragender Weise von sich selbst etwas hinzuzuthun, ohne zu verall-
begünstigte, und die Kunst der Vergangenheit hatte gemeinern oder zu idealisieren. Sie hatten eine
durch drei Jahrhunderte im Porträt das Grösste naive, offene Freude an der Natur in allen ihren
hervorgebracht. Vor dem fünfzehnten Jahrhundert Erscheinungen. Mit frischem, unbefangenem Sinn
dagegen, vor Donatello hätte ein solches Wort kaum und klugem Blick beobachteten sie das Besondere,
gesprochen werden können. Unterscheidende, Wesentliche und gaben dies mit
Wohl aber Hesse es sich von einem griechi- lebhaftester, mitunter übertriebener Deutlichkeit
sehen Künstler denken, dass er das Gleiche gesagt wieder. Die Bildnisse dieser ältesten Zeit wirken überhaben
könnte. Denn in der griechischen Kunst raschend, fast verblüffend durch das Persönliche,
spielt das Porträt eine nicht geringere Rolle als in das aus ihnen spricht, und sie sind sich alle gleich
der modernen. Es ist bezeichnend für die Schätzung, darin, dass dieses Persönliche nur in den äusseren,
die es zur Zeit seiner höchsten Entwicklung, gegen animalischen Formen liegt. Der Mensch hatte für
Ende des vierten Jahrhunderts v. Chr., erfuhr, was die Kunst dieser Zeit nur eine äussere Erscheinung,
von dem Künstler Apelles überliefert wird: das- gerade so wie das Tier oder die Pflanze,
jenige Bild dieses berühmtesten aller griechischen Auf das Aeussere der Erscheinung hat sich auch
Maler, das in den Augen der Kenner als sein bestes, die Kunst, nachdem sie mit dem fünften Jahrhundert
bedeutendstes Werk galt und auch der vielbewun- aus dem Kindesalter herausgewachsen war, in der
derten Aphrodite Anadyomene noch vorgezogen Porträtdarstellung noch beschränkt. Aber das Verwurde
, war ein Porträt, ein Reiterbildnis des Feld- hältnis der Künstler zur Natur war ein anderes
herrn Antigonos. Und von diesem Bilde wird ein geworden. Die Theorie der Schönheit hatte ange-
Zug berichtet, der die ganze Grösse der Porträt- fangen, die Künstler zu beschäftigen und trieb sie,
kunst des Apelles offenbar macht. Antigonos war nach mustergiltigen Formen zu suchen, den Ausauf
dem einen Auge blind. Nicht jeder Künstler druck einer allgemein giltigen, von den Zufällighätte
diesen Fehler der Gesichtsbildung ungenützt keiten der natürlichen Erscheinungen befreiten Schöngelassen
, so wie Raffael das Porträt des Kardinals heitsform zu finden.

Inghirami (vgl. Bd. II Taf. 90) in Dreiviertelansicht Das führte im Porträt zur Unterdrückung des

malte, um das eine schielende Auge des Mannes mit Besonderen, Individuellen und zur Ausbildung des

auf das Bild zu bringen. Aber gerade das vermied Typischen. Aus dieser Zeit stammt das erste be-

Apelles. Es gab für ihn eine höhere Aehnlichkeit rühmte Bildnis der griechischen Kunst, das Porträt

als die der äusseren Form mit ihren Zufälligkeiten, des Perikles, von der Hand des Bildhauers Kresilas

Er stellte den Antigonos im Profil dar, so dass (vgl. Taf. 53). Der Künstler suchte in diesem Werk

nur die gesunde Seite des Gesichtes sichtbar war. das Musterbild des vollkommenen, edlen, schönen

Wie Apelles das Bildnis auffasste, als Darstellung Mannes zu geben, als welcher Perikles seiner Zeit

des ganzen Menschen in seinem wahren innersten erschien. Es ist ihm das in vollem Masse gelungen.

Wesen, Hesse sich allein aus dieser Geschichte ab- Diese bildliche Darstellung ist so abgeklärt, über

nehmen. Dasselbe hohe Ziel verfolgte zu gleicher das Persönliche hinausgehoben und grade so ob-

Zeit der Bildhauer Lysipp, und beide erreichten jektiv, wie die litterarische Schilderung, die Thu-

dieses Ziel am vollkommensten in dem Porträt kydides von dem grossen Staatsmanne in seinem

Alexanders des Grossen (vgl. Bd. I, S. 22). Ihre Geschichtswerke hinterlassen hat.

Kunst hat das Charakterporträt geschaffen. Perikles selbst hat noch den Beginn einer neuen

Bevor die griechische Bildniskunst auf dieser Zeit gesehen. Um die Mitte des fünften Jahrhunderts

Höhe anlangte, hatte sie eine lange Entwicklung hebt die Bewegung an, die das griechische Leben

hinter sich, in der die Aufgaben der Porträtdar- rasch und von Grund aus umgestaltete und mit der

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