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in Knidos gefunden. Der Kopf ist aus feinstem parischen
Marmor besonders gearbeitet und aufgesetzt.
78. Begegnung der Maria und Elisabeth. Es ist erstaunlich
, wie nahe gewisse gotische Skulpturen der Antike sind.
Manches an der Fassade von Notre-Dame in Paris — aus der
Frühzeit des i3. Jahrhunderts — erinnert in den Kopftypen, in
der Stimmung an attische Werke, besonders Grabreliefs des
4. Jahrhunderts. Es liegt hier keinerlei Beziehung vor, es ist
Verwandtschaft der künstlerischen Art. Die französische Plastik
nimmt in dieser Zeit die Wendung zum Klassischen, man strebt
von den herben Formen des archaischen Stiles zu grösserer
Weichheit und Fülle, das Feierlich-Strenge wird zur Würde gemildert
, die Starrheit in Ruhe aufgelöst. Die Reimser Gruppe
der Heimsuchung ist eins der Meisterwerke aus dieser ersten
Blüte der gotischen Skulptur. Auch hier ist antike Stimmung;
ja hier sind die Formen direkt der Antike entnommen. Ein
Studium antiker Gewandfiguren, wie solche damals in Reims
noch standen, liegt diesen Werken eines Reimser Meisseis zu
Grunde. Sie sind grossartiger als das, was zu gleicher Zeit an
der Seine gemacht wird. Es ist jener grosse Geschmack darin,
der in der Reimser Architektur sich darthut. Beides ist boden-
wüchsige Kunst der Champagne.
79. Prud'hon: Gerechtigkeit und göttliche Vergeltung
verfolgen das Verbrechen. Die That ist vollbracht. Der
Mond ist hinter den Wolken hervorgetreten und sein silbernes
Licht versetzt den Schauplatz, eine wüste Felsgegend, in
ein unheimliches Helldunkel. Im Vordergrund liegt am Boden,
in voller Beleuchtung, ein schöner Jüngling. Der Mörder,
vom Stamme Kains, stürzt davon; er drückt den blutigen
Dolch an sich, wirft einen scheuen Blick zurück. Alles an ihm
verrät die tödliche Angst; die Stimme des Gewissens ist erwacht,
er vernimmt über sich den heranrauschenden Flügelschlag der
rächenden Gottheit. Schon vermag er nicht mehr zu entfliehen,
schon streckt der Racheengel die Hand nach ihm aus, ihn mit
der Fackel grell beleuchtend, schon schwebt mit Wage und
Schwert die Gerechtigkeit heran, zu wägen und zu sühnen. ■—
Das Gemälde ist für einen Gerichtssaal bestimmt gewesen.
Langsam, in den Jahren 1804 bis 1808, ist es entstanden. Die
Komposition hat nicht, wie eine Anekdote erzählt, durch eine
plötzliche Erleuchtung vor dem geistigen Auge des Künstlers
gestanden, wir können in Skizzen und Briefen ihr allmähliches
Heranreifen verfolgen — wie namentlich der ursprünglich gewählte
Moment (der Mörder ist bereits vom Racheengel ergriffen
und wird vor den Thron der Gerechtigkeit geschleift) durch den
künstlerisch weit fruchtbareren der schliesslichen Komposition
ersetzt wird. Diese in Todesangst vor der Stimme im Innern
nutzlos fliehende Gestalt muss uns packen; sie ward dann oftmals
in unserem Jahrhundert Gegenstand künstlerischer Gestaltung
: Kaulbachs Ashasver (Zerstörung Jerusalems), Rethels
Verbrecher (Bd. II. Taf. 22), neuerdings Franz Stucks Mörder,
sie alle gehören mit jener Kainsgestalt Prud'hons zu einer
Familie. — Das Bild gilt mit Recht als ein Hauptwerk des
temperamentvollsten Künstlers innerhalb einer klassisch-eisigen
Umgebung. Viele seiner Eigenschaften, in Komposition und
Kolorit, kommen zu glücklichem Ausdruck, ja das Helldunkel
und der kühle Silberton ist hier begründeter als sonstwo in
seinen Werken. Immerhin musste eine Hauptseite in des Künstlers
Art, das Liebliche, Einschmeichelnde, naturgemäss in diesem
Gemälde fehlen.
80. Hildebrand: Büste Arnold Böcklins. Neben den'bekannten
Bildern, die der Maler von sich selbst in verschiedenen Altersstufen
und unter verschiedenen Stimmungen geschaffen, ist diese
Büste auf Bestellung der preussischen Landes-Kunstkommission
im Sommer 1897 entstanden, ein richtiges Zeugnis über das Aussehen
des grossen Mannes, umsomehr, da Hildebrand zu dem
florentiner Bekanntenkreise Böcklins gehörte und in der Plastik
der Gegenwart eine ähnliche hervorragende Stellung einnimmt
wie Böcklin in der Malerei. In den Gemälden kommt mehr
das leidenschaftlich Phantastische zur Geltung; hier dafür die
andere Seite: das Kernige, Urwüchsige, die markige Kraft. Da
aber in einer plastischen Figur die Formen des Schädels und
damit die Race- und Familieneigenschaften weit stärker sprechen
als im Gemälde, ist ein gutes Zeugnis für die Gewissenhaftigkeit
der Durchführung schon eine ganz frappante, nur hier zu
Tage tretende Aehnlichkeit auch mit Verwandten des Dargestellten
, namentlich mit einem Bruder. Es sind aber auch Züge,
die für den Künstler allein charakteristisch sind, mit erstaunlicher
Kunst wiedergegeben, nicht nur die Falten, sondern auch
der Ausdruck des Mundes und namentlich der eigentümlich
sinnende Blick des grauen Auges.
81. Dürer: Lautenspielender Engel. Die aus einer englischen
Sammlung stammende Zeichnung, die 1890 dem Berliner
Kupferstichkabinet gewonnen wurde, ist datiert 1497 und bezeichnet
mit dem Monogramm, an das Dürer seit" 1495 etwa
sich gewöhnte. Vor 1495 setzte der Meister das „D" neben
das „A", nicht hinein. Des Silberstiftes, der das besondere
Zeicheninstrument des 15. Jahrhunderts ist, hat Dürer sich in der
Jugend öfters bedient, und zwar zur Porträtierung von Personen,
die ihm nahe standen, in der mittleren Zeit hat er das scharfe
Werkzeug, dem kräftige und malerische Wirkungen schwer abzugewinnen
waren, ganz ausnahmsweise verwendet, in der letzten
Zeit führte er wiederum einige zarte Porträtstudien in Silberstift
aus. Die kräftig bewegte Gestalt des Engels, oder vielmehr
des knochigen Mannes, der durch die hinzugezeichneten grossen
Flügel zum Engel gemacht wurde, ist eine sorgsam vor dem
Leben durchgeführte Studie, in der Dürer namentlich die
Körperstellung und die Handhaltung festzustellen bestrebt war.
Die Vermutung, der Schwiegervater des Meisters, Hans Frey,
dessen Liebe zur Musik bekannt ist, habe Modell zu der Engelsgestalt
gestanden, erscheint ganz glücklich.
82. Donatello: Laurentius. (Hoch o.j/.y Der Heilige ist
eine der ältesten und volkstümlichsten Gestalten der christlichen
Kunst. Zahlreich sind die Darstellungen seines Martyriums
auf dem glühenden Rost, nicht minder häufig wird er mit der
Palme des Märtyrers, den Rost neben sich, abgebildet. Donatello
giebt nichts als des Heiligen Büste, und nur das Diakonengewand
mit dem breit aufliegenden Kragen, den weiten Aermeln
und den von den Schultern herabhängenden Schnüren deutet auf
Laurentius, den Erzdiakonen weiland Papst Sixtus' II. Nicht als .
glaubensstarken oder über alle Qualen des Todes triumphierenden
Märtyrer, nur in seinem bescheidenen kirchlichen
Amte, dem heiligen Vater während des Messopfers vor dem Altare
dienend, hat ihn Donatello aufgefasst. Deshalb durfte er seiner
Büste als Modell auch einen jener fast bäurisch dreinschauenden
Florentiner Burschen zu Grunde legen, die er Feiertags, rauch-
fassschwingend und des Priesters Schleppe tragend, zu sehen gewohnt
war. Der Reiz dieses Werkes ist die Frische der Auffassung
und die Sicherheit der Formbeherrschung, die das nur
leichthin behandelte Gewand mit feiner Berechnung dem klar
durchgebildeten Kopfe unterordnete. Noch glaubt man in dem
nachgiebigen Thon den rundenden Fingerdruck des Meisters und
den sicheren Schnitt seines Modellierholzes zu erkennen: so persönlich
tritt uns das Werk entgegen. Entstanden ist es vor 1444,
ehe der Meister in Padua seinen grossen Aulträgen nachkam.
83. Previtali: Christus am Kreuz. Previtali ist in seiner
Jugend in die Werkstatt des Giovanni Bellini eingetreten, in
seinen reiferen Jahren erfährt er deutlich den Einfiuss Lorenzo
Lottos; aber niemals hat er den kräftigen, etwas derben Charakter
verloren, der allen Künstlern des Bergamasker Landes
gemeinsam ist. Ohne jemals seine Werke zu jener Bedeutung
zu erheben, wie sie den Schöpfungen grosser Meister innewohnt
, verleiht er ihnen häufig eine Anmut und ansprechende
Liebenswürdigkeit, die über kleine Schwächen hinwegsehen
lassen. In Venedig befinden sich u. a. vier kleine Bilder seiner
Hand, die ursprünglich zusammengehölt haben müssen, da alle
gleich gross sind; zwei davon, „Pharaos Untergang im Roten
Meer" und „Christus in der Vorhölie", befinden sich seit dem
siebzehnten Jahrhundert im Dogenpalast; die beiden anderen
waren bis vor kurzem in einem Seitenraum der Redentorenkirche
versteckt und sind jetzt der Sammlung der Akademie einverleibt
worden, „Die Geburt Christi" und „Christus am Kreuz".
Offenbar gehören alle vier Bilder der Reifezeit des Meisters an,
denn sie verraten deutlich Lottos Einfiuss. Sie zeichnen sich
alle aus durch eine phantastisch-poetische Landschaft, die mit
dem dargestellten Vorgang sich harmonisch verbindet. Das
Kreuz an dem der tote Heiland hängt, steht auf einem niedern
Hügel^ vor dichtbelaubten Bäumen; man blickt über Wiesen
und Hügel auf Stadt und Kastell. Ein Weg rechts zeigt uns
die letzten Nachzügler des Zuges der Häscher; rechts nahen
sich die Getreuen, den Leichnam zu bergen. Am Kreuz sind
Maria, Magdalena, Johannes und zwei Frauen zurückgeblieben
und g'eben sich ihren schmerzlichen Empfindungen hin. Durch
zarte Empfindung, durch den reizvollen Landschaftsgrund,
durch Schönheit der Farben ist dies Werk ausgezeichnet.
84. Narciss. Im Altertum gehen die Anfänge einer eigentlichen
Innendekoration der Wohnhäuser in die hellenistische Zeit
zurück. Damals fingen Privatleute an, Kunstgegenstände zu erwerben
und in den Wohnräumen aufzustellen. Diese Sitte ist
von Griechenland in die römische Welt übertragen worden.
Wie allgemein sie in der Kaiserzeit geworden war, macht die
Masse von Dekorationsstücken in den Ruinen der verschütteten
Vesuvstädte anschaulich. Unter dem, was sich von dieser Art
in den Häusern von Pompeji erhalten hat, ist das meiste billige
Ware; neben dem geringen befindet sich aber auch manches
Stück von hohem Kunstwert. Zu diesen letzteren gehört die
unter dem Namen des Narciss bekannte Bronzestatuette. Sie ist
in dem Hause eines Tuchwalkers gefunden; der war ihr letzter
Besitzer, aber nicht ihr erster, vorher hat sie gewiss ein vornehmeres
Haus geschmückt. Sie ist griechisch und wird etwa
zu derselben Zeit entstanden sein wie die grossen Altarreliefs
von Pergamon und die hübschen Terrakotten von Myrina, unter
denen ähnliche Figuren mit gleich schlanken Gliedern und
weichen Formen zahlreich sind. Die Figur ist nicht intakt
überliefert. Sie war ursprünglich so aufgestellt, dass der rechte
Fuss mit voller Sohle auf dem Boden aufstand und der vorgesetzte
linke Fuss mit der Spitze gehoben war, so dass der
ganze Körper sich weniger vornüber neigte. Auch war aller
Wahrscheinlichkeit nach an der linken Seite ein Panther an-
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