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gebracht. Diesem galt der Blick und der Gestus der rechten
Hand. Denn nicht den Narciss, wie er dem Rufe des Echo
lauscht, stellt die Figur vor, sondern den jugendlichen Dionysos
oder einen seiner Gefährten; darauf deuten auch der Epheukranz
und das Rehfell und die zierlichen Stiefel hin.
85.86. Raffael: Die Disputa. Die „Disputa" ist das erste der
grossen Wandbilder, die Raffael für Julius II. in der camera
della segnatura malte. Der Name ist unzutreffend, indem es
sich nicht um eine Disputation handelt, sondern zunächst nur
das ruhige Zusammensein der vier Kirchenlehrer gegeben
werden sollte, über deren Häuptern die Gestalten des christlichen
Himmels thronen. In der Mitte Christus, die Wundmale
weisend, zwischen Maria und Johannes dem Täufer, darüber
Gottvater segnend und unten die Taube des heiligen Geistes,
die vier Putten mit den Evangelien umschweben. In flachem
Bogen zieht sich eine Reihe von Auserwählten des alten und
neuen Bundes hinter der Glorie hin, eingefasst von Petrus (1.)
und Paulus (r.). Die Figuren der vier lateinischen Kirchenlehrer
, Hieronymus, Gregorius, Ambrosius und Augustinus, sind
der Knotenpunkt der irdischen Gesellschaft. Sie sitzen zu
Seiten eines Altars, auf dem die Hostie ausgestellt ist, und mit
Sorgfalt sind sie von Raffael in ihrer geistigen Aeusserungsweise
differenziert worden. Unter den übrigen Personen, die sich
anbetend zudrängen oder in stiller Kontemplation assistieren
oder als Weisende und Gewiesene nach der Mitte hinzielen,
treten einige als kenntliche Porträtköpfe hervor, vor allem der
Oheim des Bestellers, Papst Sixtus IV. (rechts unten auf der
ersten Stufe). Andere sind durch Beischriften kenntlich gemacht,
die meisten aber sollen nur namenlose Begleitfiguren sein, bei
denen der Künstler seine Kunst zeigen muss in der Erfindung
von Bewegungs- und Ausdrucksmotiven. Der Wert des Bildes
besteht nicht, wie das Publikum gern glaubt, in dem, was die
Figuren bedeuten, sondern in dem, was sie als körperlichgeistig
bewegte Wesen für das Auge sind, und die grössere
Leistung ist nicht die Idee einer solchen momentan zusammenströmenden
Gemeinde, sondern die Art, wie die Gruppen formal
gebildet und die Versammlung räumlich klar gemacht ist.
87.88. Raffael: Die Schule von Athen. Die sog. Schule von
Athen enthält als Hauptmotiv die Wechselrede zwischen Plato
und Aristoteles. Der Idealist deutet aufwärts, der Realist
breitet mit vorgestrecktem Arm die Hand flach aus, die würdige
Hinweisung auf den festen Grund der Wirklichkeit. Eine Reihe
von Hörern hat sich rechts und links aufgestellt. Nach vorn
lockert sich das Auditorium, es trennen sich selbständige
Figuren und Gruppen ab. Links erblickt man das wohlbekannte
Gesicht des Sokrates vor einem Häuflein von Menschen, denen
er an den Fingern etwas vordemonstriert. Neue Hörer winkt
man herbei. Unterhalb dieser Gruppe sitzt ein würdiger rüstiger
Mann und schreibt, indessen ihm andere angelegentlich über
die Schulter ins Buch sehen. Die Tafel mit den harmonischen
Akkorden, die ein Knabe hält, mag auf den Kreis des Pythagoras
deuten. Namenlose Gestalten schliessen sich an und vervollständigen
die reich angelegte Gruppe. Der halbnackte Mann,
der auf der Treppe liegt, ist wohl Diogenes, der Cyniker. In
der rechten Bildecke haben die Geometer Platz genommen und
der Vater der Geometrie, Euklid, macht im Kreise seiner Schüler
eine Konstruktion vor. Die Männer mit dem Globus sind
berühmte Astronomen des Altertums. Ganz am Rande blickt
uns ein heller, jugendlicher Kopf an: Raffael selbst. — Wie bei
der Disputa ist auch hier jedem Beschauer zu raten, den Genuss
sich nicht trüben zu lassen, wenn er die Figuren des Bildes
nicht alle benennen kann. Raffael hat es nicht darauf abgesehen,
lauter bestimmte historische Persönlichkeiten darzustellen oder
eine tabellarische Uebersicht der antiken Philosophie zu geben.
Es sind historische Figuren dabei, und die Motive, in denen
sich das Leben der geistigen Disziplinen abspielt, haben als
Grundlage gedient; für den Künstler aber war die reiche Gliederung
der Gruppen, die Klarheit und Harmonie der Gesamterscheinung
dieser Menschenmenge Selbstzweck. In dem Reichtum
des Gefüges übertrifft die „Schule von Athen" die „Disputa"
noch um vieles. Die Mitwirkung der Architektur ist dabei von
der grössten Wichtigkeit. Man denke sie weg und die ganze
Komposition fällt zusammen.
89. Velazquez: Selbstbildnis. Nur mit wenigen Tönen auf
hellem Grunde gemalt, gleich vornehm in der Ausführung wie
in der Auffassung, zeigt das kapitolinische Selbstbildnis des
Velazquez das grosse Können seines Pinsels. i63o in Rom
scheint es entstanden zu sein und hat wahrscheinlich als Vorstudie
gedient für das heut verschollene Bild, das sein Schwiegervater
Pacheco stolz war zu besitzen. Es hat dieses Gemälde
darum für uns so grossen Wert, weil es, das einzige authentische
Porträt aus seinen jungen Jahren, die sympathischen
Züge, den traumhaften Blick des Andalusiers überliefert.
90. Poussin: Bacchische Scene. Poussin steht zu seinem
grossen Zeitgenossen Rubens in der Ausnutzung der Antike
in grösstem Gegensatz. Rubens kleidet die antiken Motive in
starke Bewegung, in herkulische Körper und üppige Nacktheit,
Poussin sucht in ihnen das Idyllische, die ruhige Klarheit der
Formen, die gemessenen Gesten. Wie unterscheidet sich selbst
diese zum Uebermut herausfordernde bacchische Scene von
einem Bacchanal des Rubens! Alles geschieht hier mit Vorbedacht
. Sorgfältig wartet der Satyr mit dem Aufstehen, bis
seine schöne Nymphe ihren Sitz auf seinem Rücken ordentlich
eingenommen hat, wobei ihr ein kleiner Amor hilft. Ein voranschreitender
Knabe und ein nachfolgender dienender Faun,
der die Speisen für das Mahl im Walde trägt, geben dem Vorgang
fast das zahme Gepräge einer Familienscene. Nach dem
Punkte, nach dem die Hand der Nymphe weist, strebt auch
die ganze Komposition in keilförmiger Gestalt. Der vom Künstler
so sehr geliebte Gegensatz einer blaugrünen Landschaft und
kräftiger gelbbrauner und roter Farben, wie in dem Haar und
dem Tuch der Nymphe, ist ihm in seltener Harmonie gelungen.
91. Aertsen: Die Köchin. In voller Lebensgrösse steht die
Kochkünstlerin am Kamin, über dessen Feuer eine Gans am
Spiess gebraten werden soll. Ein Küchenjunge und eine Gehilfin
bilden den Hofstaat der selbstgefälligen und energischen
Herrscherin über Tiegel und Töpfe. Geschickt sind die drei
Gestalten in den stark überhöhten Bildraum gestellt. Sie sind
mit etwas harter Deutlichkeit gezeichnet und modelliert; steif
wirkt auch die Haltung des muskulösen linken Armes der
Köchin, unter dem sie einen Kohlkopf hält. Diese Mängel, die
auch in andern Bildern des Meisters sich wiederholen, nehmen
aber seinen sittenbildlichen Schilderungen nicht den pikanten Reiz,
der allen Erstlingen der Zustandsmalerei eignet, zumal ein warmes,
bräunliches Kolorit bei ihm die Härten der Zeichnung mildert.
92. Gruppe des Künstlers Menelaos. Herder hat die Gruppe
die „stillen Vertrauten" genannt: „Nie bin ich, ihr schönen
Jünglinge, die man Orest und Pylades nennt, nie von euch, ihr
stillen Vertrauten, die man als Hippolytus und Phaedra fälschlich
anklagt, nie von so mancher anderen Gruppe, da sich auf
dem Grabsteine noch — das Kind in ihrer Mitte — liebende
Hände den Bund der ewigen Treue schwören, weggegangen,
ohne dass mein Herz durch die Innigkeit der Gefühle, die aus
diesen Gebilden sprechen, innig erweicht war. Ich war in einer
anderen Welt gewesen und sprach zu mir: könntest du mit
ihnen leben, und wärest einer derselben!" — Eine sichere Erklärung
der Gruppe ist bisher trotz vielfacher Versuche — am
bekanntesten ist Winckelmanns Deutung auf Orest und Elektra
— nicht gelungen. Ist es doch selbst schwer zu sagen, in
welcher Beziehung die Figuren zu einander gedacht sind, ob es
ein Wiederfinden ist oder ein Abschied, in dem sich Schwester
und Bruder oder Mutter und Sohn vereinigen. Der Künstler
des Werkes, Menelaos, nennt sich in der Inschrift, die an der
Stütze der Jünglingsfigur angebracht ist, Schüler des Stephanos;
dessen Lehrer war Pasiteles, der zu Pompejus' Zeit berühmt
war. Die Richtung dieser Schule war eine akademische. Auf
die Werke der grossen Meister der Vergangenheit wendete sich
das Studium zurück, in ihnen fand man Muster und Vorbild,
sie wurden nachgeahmt und kopiert. Auch von der Gruppe
des Menelaos zweifelt man, ob sie eine im eigentlichen Sinne
originale Schöpfung ist. — Die Erhaltung ist eine vorzügliche,
ergänzt sind ausser wenigen Kleinigkeiten nur der rechte Arm
des Jünglings und der linke Arm der Frau.
93. Tizian: Die hl. Familie. Das anmutige Halbfigurenbild,
das unter dem Namen der „Kirschenmadonna" weltbekannt ist,
erinnert noch an den Schulzusammenhang Tizians mit Giovanni
Bellini. Die gleichmässige Komposition mit der Madonna in der
Mitte, vor dem weichen, golddurchwirkten Brokatvorhang, die
Anordnung je eines Heiligen rechts und links, die Wahl der
Halbfiguren, alles dies ist der älteren Tradition entlehnt. Aber
an Stelle des ernsthaft den Segen spendenden Kindes ist hier
der heiter mit der Mutter scherzende Knabe getreten; sein
Altersgenosse schleppt eifrig Kirschen und Erdbeerblüten heran,
welche er der Madonna überbringt. An Stelle des strengeren,
kirchlichen Motivs eine liebenswürdige Genrescene, die den neuen
Geist verkündet, der in die Kunst eingezogen ist. Die Vereinigung
des Alten und Neuen verweist dies Bild unter die Jugendwerke
Tizians, in die Nähe der Madonna in Dresden (Taf. 69). — Die
Schönheit der Madonna wird gehoben durch das hellrote Kleid,
das blaue Kopftuch; der Gegensatz der bräunlich dunkeln Männergestalten
verstärkt die Wirkung ihres hellen Antlitzes.
94. Cornelius: Faust und Mephisto am Rabenstein. Die
Zeichnung gehört zu dem Faustcyklus, den Cornelius in Frankfurt
um 1810 begonnen und in Rom 1815 vollendet hat. Die
Stiche nach den Zeichnungen kamen 1816 heraus, eine Ausgabe
in neuen Abdrücken 1845. — Die Bilder sind sehr ungleich.
In den frühesten, wie dem Spaziergang, trifft man hie und da
einen wohlgetroffenen Gesichtsausdruck, im übrigen ist die
ganze Anordnung noch so unreif und die Verzeichnungen sind
so ungeheuerlich, dass heute kaum jemand ein Talent darin
erkennen würde. Dagegen verraten schon die späteren Frankfurter
Arbeiten, wie Gretchen in der Kirche, vor allem aber die
römischen Blätter, wie Valentins Tod und die Kerkerscene, das
Heranreifen des Künstlers. Dem Eindruck, den die Kerkerscene
auf die Gemüter am Beginn unseres Jahrhunderts gemacht,
wird man sich auch heute nicht ganz entziehen können; etwas
weniger reif in der Durchführung, aber noch gewaltiger ist der
Ritt am Rabenstein, der 1811 in Rom entstanden ist.
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