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dann (1504) ihren Platz dem David Michelangelos abtreten
musste, kam sie unter jenen seitlichen Bogen der Loggia de'
Lanzi, unter dem sie noch steht.
150. Rembrandt: Lesender Jüngling. Der hübsche Bursche,
der die Grenze des Knabenalters nicht weit hinter sich gelassen
hat, scheint vertieft in die Lektüre des Buches. Das freudig
erregte Interesse öffnet seinen Mund ein wenig. Die herkömmliche
Bezeichnung „der singende Jüngling" ist wohl unberechtigt
. Mit guten Gründen hat m'an in dem Dargestellten,
den Rembrandt in diesem Lebensalter und als Knaben öfters
gemalt hat, den Sohn des Meisters und der Saskia, den 1641
geborenen Titus vermutet. Die weiche, leichte und breite
Malweise passt wohl zu der Zeit 1657, in der etwa das Bild
entstanden sein müsste. Das Licht spielt über das Antlitz, die
Hand und das Buch, launisch dieses und das aus dem durchsichtigen
Dunkel hervorhebend. Gern sind wir bereit, einen
Anteil an der anmutigen Auffassung der väterlichen Liebe zuzuschreiben
.
151. Melchers: Die Familie. Die „Familie" von Gari Melchers
war mit einer grösseren Zahl inhaltlich verwandter Bilder des
Künstlers auf der Berliner Ausstellung des Jahres 1896 ausgestellt
und wurde damals vom Staat für die Nationalgalerie
erworben. Der Künstler beweist in diesem Werke einen ungewöhnlichen
Sinn für farbige Harmonie: mehrere Abstufungen
von Rot — vorn gelblichen Orangerot bis zu einem warmen
Granatrot — und verschiedene Nüancen eines blasseren und
kräftigeren Grün sind in den Gewändern der Figuren vereinigt
und haben einen dunkel-blaugrünen Ton, der durch ein farbiges
Madonnenbildchen und einen mehr noch ins Blau hinübergehenden
dunkelgrünen Vorhang unterbrochen ist, zum Hintergrund.
152. Francois Rüde: Neapolitanischer Fischerknabe. Die
Statue trennen etwa fünfzehn Jahre von dem ausgesprochenen
Realisten Rüde in dem gewaltigen Grabmonument des Godefroy
Cavaignac's; in ihr sind noch starke, klassicistische Reminiscenzen
vorhanden, aber eine gesunde Naturbeobachtung in Stellung und
Gebärdenspiel des mit einer Schildkröte spielenden Knaben lässt
trotz einer__ gewissen Allgemeinheit in der Formenbehandlung
nicht die Ode und Langeweile aufkommen, die in den rein-
klassicistischen Werken dieser Epoche herrscht. (Höhe 0.68.)
153. Goya: Porträt des Malers Francisco Bayeu. Als
Radierer durchaus neu und eigenartig, hat Goya als Maler sich
augenscheinlich an berühmte Vorbilder gehalten: als Freskomaler
an Tiepolo, als Porträtmaler und Sittenschilderer an
Velazquez. Aber in seinen Porträts zeigt er sich doch auch
als Kind seiner Zeit: er vereinigt in ihnen das Vornehm-
Repräsentative mit dem Zufällig-Momentanen. So haben alle
seine Bildnisse den doppelten Vorzug, Stil zu besitzen und ungesucht
natürlich zu erscheinen. Goya hat seinen Schwager,
den Maler Francisco Bayeu y Subias (1734—1795), der als
Hauptvertreter der akademischen Richtung seiner Zeit eine
grosse Rolle spielte — seit 1788 war er Direktor der Akademie
von San Fernando — ohne Pose in einem Lebnstuhl placiert,
auf dessen Lehne die Hand mit dem Pinsel ruht, im einfachen
grauen, lässig sitzenden Rock; das Gesicht ist zum Beschauer
gewendet und das scharfe Auge, halb von den Lidern verdeckt,
scheint die Erscheinungen auf ihre Form hin durchdringend zu
betrachten. Auf die malerische Durchführur g des Gesichts ist
die grösste Sorgfalt verwandt, während das Nebensächliche
(Gewand u. s. w.), sehr treit behandelt, doch auf eine sehr
feine koloristische Wirkung berechnet ist.
154. Grien: Das Martyrium der hl. Dorothea. Die mit
der Signatur des Meisters — HBG zusammengesetzt — und mit
der Jahreszahl 1516 bezeichnete Tafel stammt aus der besten
Zeit des Meisters und fesselt lebhaft durch die kräftige, gleichsam
fest zugreifende Auffassung der Scene und durch die
originelle Schneelandschaft. Der Zeitgenosse Dürers, der
namentlich mit dem Ausdrucksmittel des Holzschnittes sich als
Erzähler von grosser Deutlichkeit und leichter Gestaltungskraft,
zuweilen selbst als eindrucksvoller Dramatiker erwiesen hat,
hielt nur in der Durchführung der individuellen Einzelheiten
und im Kolorit mit den Besten seiner Zeitgenossen nicht Schritt.
155. Signorelli: Madonna. Eine unter dem Rahmen verborgene
, lange Inschrift belehrt uns, dass das Gemälde im
Jahre 1484 von einem Landsmanne Signorellis, dem Cortonesen
Jacobus Vannutius, ehemaligem Bischof von Perugia, zu Ehren
Gottes und des hl. Onuphrius gestiftet worden ist. Wiewohl
der Meister damals schon 43 Jahre zählte, pflegt man in diesem
Bilde eines seiner „Jugendwerke" zu verehren, und nur der
bedauerliche Mangel an gesicherten Arbeiten aus den früheren
Jahren erklärt einigermassen diesen Anachronismus. Auf ein
jugendliches Schaffen deutet nichts als die grenzenlose Gewissenhaftigkeit
der Ausführung. Unbedingt stimmen wir dem Biographen
Signorellis bei: „es existiert in Italien keine Altartafel,
welche Signorelli mit so viel Liebe und Sammlung gemalt
hätte." Seine cimbrische Herkunft verrät der Meister in der
tiefen seelischen Versunkenheit seiner Gestalten. Während sich
diese im Johannes und Onuphrius (auf der linken Seite der
Tafel) mehr ekstatisch äussert, kommt sie in der Madonna und
dem lesenden Bischof Herculanus (auf der rechten Seite) in
mehr beschaulicher Weise zum Ausdruck. Ein wenig unbeteiligt
erscheint dagegen der hl. Laurentius in seinem prunkvollen
Diakongewande. Entzückend in seiner Rundlichkeit ist das
Christkind. Ganz wundervoll ist die tiefe Andacht des Bildes
in dem Seraph zu Füssen des Thrones gesammelt, der lauschend
den Klang der Saite prüft. So florentinisch die plastische Sicherheit
der Gestalten anmutet, so wenig ist die Komposition floren-
tinischen Vorbildern entlehnt. Auch die ruhige, schlichte Farben-
gebung ist unflorentinisch. Die Gläser mit den Blumensträussen.
aber erinnern daran, dass der Meister mit seinen florentinischen
Zunftgenossen staunend zum Triptychon des van der Goes aufgeschaut
hat, dessen liebevolle Kleinkunst zur Bewunderung und
Nacheiferung hinriss.
156. Cossa: Die Weberinnen. Unsere Tafel zeigt nur den
rechten Teil eines Wandfreskos, das den Triumph der Minerva
darstellt. Die Mittte nimmt ein mit zwei Einhornen bespannter
Prunkwagen ein, auf dem die Göttin, mit Pallas, Buch und
Schwert geschmückt, dahergefahren kommt. Was sie den
Menschen herabbringt, Weisheit und Kunstfertigkeit, schildern
die Seitenteile. Links steht eine Versammlung ernster Männer
in gelehrter Unterhaltung. Rechts ist eine Gesellschaft junger
Frauen am Webstuhl, am Stickrahmen, am Spinnrocken, mit
Schere und Nadel unter munterem Geplauder beisammen. Ein
Genrebild haben wir vor uns, wenn auch nicht in dem modernen
Sinne, wie es uns seit den holländischen Kleinmeistern geläufig
ist. Derartiges kennt die frühere italienische Kunst nicht. Im
Fürstenschloss und in der Privatkapelle wagt das italienische
Genrebild seine ersten Schritte zur Selbständigkeit; doch ordnet
es sich noch bescheiden dem geistlichen oder weltlichen Hauptthema
unter. Durch die Grösse seines Ausdrucks bleibt es der
monumentalen Malerei eng benachbart. Es führt auch nicht in
die unteren Schichten des Volkes; der festlich-frohe Sinn der
Zeit erhöht alltägliches Leben fast zum historischen Ereignis.
157. Amazone. Die schlanke Gestalt einer Amazone bietet sich
dem Blick des Beschauers in einer schönen Pose dar. Der
kräftige Körper ruht auf dem rechten Bein, das linke Bein ist
völlig entlastet und wie in Schrittstellung zurückgezogen. Die
Hüfte tritt in starker Rundung nach der rechten Seite heraus.
Der rechte Arm ist über den Kopf gelegt, der Kopf etwas vornüber
und rechtshin geneigt, der linke Arm liegt auf einem Pfeiler
auf. Die Figur ist nicht eigentlich an den Pfeiler angelehnt, die
Bewegung des Körpers nicht durch ein Anlehnen bedingt, der
Pfeiler ist auch ohne Zweifel dem Original, d. 3 als Bronzewerk
zu denken ist, fremd gewesen und erst von dem Kopisten hinzugefügt
, der für die Arbeit in Marmor der Hilfe einer festen
Stütze bedurfte. In dem Original hing der linke Arm wahrscheinlich
zur Seite des Körpers herab. Dieses Bild in seiner
gefälligen Haltung lässt an eine ausruhende, aber kaum an eine
totmatte, schwer verwundete Kriegerin denken, und doch hat
der Künstler, wie der breite Schnitt unter der rechten Achse
zeigt, eine zu Tode getroffene Amazone darstellen wollen. Das
Interesse an der rhythmischen Gliederung der Form in einer auf
bestimmte Schönheitswirkung berechneten Stellung ist für ihn so
vorwiegend gewesen, dass er die Entwicklung des Motivs aus
der Handlung heraus dahinter hat zurücktreten lassen. Es ist
ein der Kunst des Bildhauers Polyklet eigentümlicher Zug, der
sich hierin zu erkennen giebt (vgl. die Statue des Diadumenos
Bd. II, Taf. 133, die in ähnlichem abgemessenen Rhythmus
bewegt ist). Unter seinen Werken war eine verwundete Amazone
viel bewundert; an sie knüpfte sich die Legende, dass der
Künstler mit ihr in einem Wettstreit mit Phidias und Kresilas
gesiegt habe. — An der Berliner Statue sind ausser den Füssen
und der Nase beide Arme mit dem Pfeiler modern, aber die
Ergänzung entspricht dem ursprünglichen Zustand.
158. Fantin-Latour: Weibliches Eildnis. Der Künstler, der
dies Porträt geschaffen, gehört zu der Gruppe jener französischen
Freilichtmaler, die durch ihre Wirksamkeit zwar für die gesamte
jüngere Künstlergeneration des Abendlandes und des fernen Amerika
seit mehr als zwanzig Jahren bedeutungsvoll geworden sind,
deren'Schöpfungen aber noch heute überall auf den heftigsten
Widerspruch stossen. Unser Bild dürfte indessen^ leichter verständlich
sein als die meisten übrigen Arbeiten dieser Gruppe.
Die Landschafter suchten sich Motive und Stimmungen aus, für
deren Schönheit der Mensch vordem kein Auge hatte, an deren
Reize man sich deshalb erst zu gewöhnen hatte. Hier ist eine
Aufgabe gelöst, die allen Zeiten gemeinsam ist, eine Aufgabe,
wo auch von jeher die Wiedergabe der äusseren Erscheinung
selbst dem Laien wichtig war. Fast wie etwas längst Gewohntes
erscheint deshalb dieses Porträt, besonders beim Anblick von
weitem und in der Wiedergabe, weil hier die einzelnen Farben-
klexe zusammenfliessen und man nur die Gestalt selbst im
Dämmerlicht eines bürgerlichen Wohnhauses sieht. — Leichter
verständlich ist dieses Werk allerdings noch aus einem andern
Grunde. Während Manet, das eigentliche Haupt der neuen
Schule, mit der Einseitigkeit, die jeden genialen Bahnbrecher
auszeichnet, auf die Darstellung der Lufttöne ausging, so interessierte
unseren Künstler namentlich hier, wo er seine teure Anverwandte
, offenbar die Gattin, darstellte, natürlich nicht minder
als die Farbe auch der Charakter der Dargestellten. Das Bild.
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