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zu verbinden; wer einmal in seelischen Kontakt mit diesem
Greis, der, von einer plötzlichen Huldigung überrascht, sich,
ein geistreiches Wort auf den Lippen, von seinem Sessel erheben
will, gelangt ist, dem spinnen sich enger und enger die
Fäden, und wenn er nach Jahren wieder vor die Statue tritt,
so glaubt er einem Bekannten zu begegnen, dessen innerstes
Wesen er seit langem erkannt hat. (Vgl. auch Bd. i S. 12.)
9. Mantegna: Bildnis des Kardinals Lodovico Mezzarota
(Scarampo). Die Persönlichkeit des Dargestellten wird durch
eine Inschrift auf der Rückseite einer Kopie des Bildes und
durch einen Stich in Tomasinus, Illustr. Virorum Elogia, der
eben nach diesem Gemälde Mantegnas angefertigt ist, festgestellt.
Mantegnas auf das tiefe Erfassen des Seelenlebens und auf
prägnanteste Charakteristik gerichtete Kunst hätte kein geeigneteres
Vorbild finden können als diesen Mann von Stein und Eisen,
der sich durch Energie und Klugheit aus niedriger Stellung zu
den höchsten Würden emporgearbeitet hatte. Als Arzt war er
in die Dienste Papst Eugens IV. getreten und nicht durch
theologische Gelehrsamkeit, sondern durch seine Kriegstüchtigkeit
zu Ruhm und Ehren gelangt. Er durfte sich rühmen,
Piccinini, einen der bedeutendsten Condottieri seiner Zeit, besiegt
und bei Belgrad und Rhodos sogar den Türken empfindliche
und erfolgreiche Niederlagen beigebracht zu haben. Seine geistlichen
Aemter benutzte er, um grosse Reichtümer aufzuhäufen
und eine damals unerhörte Pracht in seiner nichts weniger als
geistlichen Lebensweise zu entfalten. Da Mezzarota 1465 im
Alter von 63 Jahren starb und auf dem Gemälde als älterer
Mann erscheint, so wird Mantegna in den letzten Jahren seines
Aufenthaltes in Padua, kurz vor seiner Uebersiedelung nach
Mantua im Jahre 1469, das Bildnis seines Landsmannes, der als
Patriarch von Aquileia wohl öfter seine Heimat besucht haben
mag, gemalt haben. Der Künstler mag zu dem hochgebildeten
und kunstliebenden Kardinal auch in persönliche Berührung
getreten sein. Die Wirkung des Gemäldes wird durch die matte,
stumpfe Färbung sehr beeinträchtigt, in der Zeichnung und in
der Detailausführung ist es von der grössten Feinheit, überaus
lebendig und vornehm in der Haltung und von einer wunderbaren
Objektivität der Charakterschilderung.
10. Rubens: Der Liebesgarten. Im Venusfest (Wien) und in
der Kirmes (Louvre) schildert Rubens die ausgelassenste Freude,
in keiner Weise durch die Kultur feinerer Lebensgewohnheit
gemässigt. Der in verschiedenen Variationen existierende „Liebesgarten
" hat diese Verschmelzung von Liebeslust und Lebensart
zum Thema. Aber heisse Leidenschaft glüht unter leichter
Decke und auch ohne die symbolisch die Stimmung andeutenden
in der Luft herumschwirrenden und hier und dort ihr loses
Handwerk betreibenden Amoretten und ohne den die Ueppigkeit
personifizierenden Brunnen würden wir aus diesen Gruppen,
aus Stellung und Ausdruck den heissen Odem nur mühsam vom
lauten Ausbruch zurückgehaltener Liebeslust verspüren.
11. 12. Watteau: Die Einschiffung nach Cythere. 1712
wurde Watteau als ,,Aggree;< in die Pariser Akademie aufgenommen
. Aber erst nach fünf Jahren, 1717, nach wiederholten
Mahnungen, reichte der Künstler das für seine definitive Aufnahme
notwendige Werk ein. Es ist die ,,Einschiffung nach
Cythere", heute im Louvre — eigentlich nur eine grosse, genial
hingeworfene Farbenskizze. Das ausgeführte Gemälde, hier und
dort, vor allem in der Landschaft, von der Skizze abweichend,
ist im Besitz des Deutschen Kaisers. — Die „Einschiffung" hat
zum Unterschied von den meisten Werken Watteaus ein geschlossenes
Thema. Links liegt die umkränzte Barke, von
kräftigen Gestalten geführt, von Amoretten umgaukelt. Weithin
zwischen hochansteigenden felsigen Ufern schlängelt sich das
Wasser, von blauem Nebel ist die Ferne verschleiert, in die,
zur Liebesinsel hin, die Paare, die in anmutiger Bewegung den
Hügelabhang hinab zu dem Boote schreiten, geleitet zu werden
wünschen. In dieser Kette von graziösen Bewegungen von
dem Paare, das noch im Gespräche tief versunken ist, bis zu
jenen hin, die bereits im Begriff sind, das Schiff zu betreten,
liegt neben der Stimmung der Landschaft der Hauptreiz des
Gemäldes.
13. Lotto: Familienbildnis. Die italienischen Künstler des
sechzehnten Jahrhunderts, so ausgezeichnete Bildnismaler sie
sind, haben die schwierige Aufgabe, mehrere Porträts auf einem
Bilde zwangslos zu verbinden, nicht immer ganz glücklich gelöst.
Oft fehlt den Dargestellten die Harmlosigkeit; sie empfinden,
dass das Auge des Künstlers auf ihnen ruht; sie geben sich
nicht ganz frei. Auch gegen das Familienbildnis Lottos in der
National Gallery kann man diesen Vorwurf richten. Ganz un-
bewusst der Situation ist nur der kleine Knabe, der fröhlich
nach den Kirschen hascht, die sein Vater in der Hand hält.
Aber dieser, seine Gattin und deren Abbild, ihr Töchterchen,
schauen so gerade aus dem Bild heraus, dass man noch heut
empfindet, wie sie zu dem Maler hinblicken. Sie haben in
Festtagskleidern, die von prächtigem Atlas glänzen, an dem mit dem
orientalischen Teppich bedeckten Tisch Platz genommen, rechts
und links von dem Fenster, das sich zur See hin öffnet. Trotz
der Gebundenheit der Gruppierung lässt uns die Kunst des
Malers die innigen Beziehungen des Gatten zur Gattin und
dieser gemeinsam zu den Kindern ahnen; etwas von ihrer
Lebensgeschichte enträtselt uns ihr Ausdruck. Man wird dies
nur mit dem Namen Lottos bezeichnete Bild in die Bergamasker
Periode des Meisters und in den Anfang der zwanziger Jahre
setzen dürfen.
14. Figur von einem Attischen Grabrelief. Das Bruchstück
stammt von einem der grossen prunkvollen Grabdenkmäler, wie
sie im 4. Jahrhundert v. Chr. in Athen Mode geworden waren.
(Vgl. III. S. 67.) Man muss sich die Figur, eine sitzende Frau
in reicher Gewandung, vollständig denken, dazu eine zweite,
vielleicht noch eine dritte stehende Figur und das Ganze in
einer weit vorspringenden, oben mit einem flachen Giebel abschliessenden
, nischenartigen Umrahmung. Eine leichte Färbung
einzelner Teile, des Haares, der Augen, der Lippen, der Gewandung
in bunten, nicht aufdringlichen Tönen belebte das
plastische Bild und erhöhte seinen Reiz. Der schöne Kopf
der Frau ist leider nicht unverletzt erhalten, die Nase und ein
Teil des Mundes ist ergänzt.
15. Ruisdael: Die Ansicht von Katwijk. Das mit den übrigen
Schätzen der Sammlung Mc Lellan in die öffentliche Galerie
von Glasgow gelangte Gemälde lässt sich kaum einordnen in
eine der bekannten Gruppen der Ruisdaelschen Darstellungen,
nicht zu seinem Nachteile. Der Meister war selten so glücklich
inspiriert wie bei der Gestaltung dieses Motivs, das er nicht
wiederholt hat und das auch dem genauen Kenner der Ruisdaelschen
Kunst eine Ueberraschung gewährt. Von einem
ziemlich hohen Standpunkte gesehen, zwischen Dünen gebettet,
liegt Katwijk mit dem malerischen Gewirr seiner Dächer, beherrscht
von dem hohen Kirchturme, im halben Dämmer. Das
Stadtprofil zeichnet sich dunkel ab gegen den lichten Himmel
und die hell aufschimmernde See.
16. Ben. da Majano: Johannes der Täufer. Der als Architekt
und Plastiker gleich bedeutsame Künstler, dem Florenz seinen
schönsten Palast (Pal, Strozzi) und seine schönste Kanzel (in
Sta. Croce) verdankt, wurde, nachdem er in der Jugend in den
Marken im Dienst der Stadtherrn von Forli und Rimini gearbeitet
hatte, 1475 nach Florenz berufen, um im palazzo pubblico die
sala d'udienza zu schmücken. Ausser dem Marmorrahmen der
Thür arbeitete er die sämtlichen Intarsien und brachte an der
Wand mit der Richterbank die Porträtreliefs von Dante und
Petrarca an. Auf die Richter aber blickte vom gegenüberliegenden
Thürgesims herab der alte Patron der Stadt, San
Giovanni, um ihren Spruch zu lenken und zu segnen. Es ist
die heute in Bargello aufgestellte Statue. Ihr ursprünglicher
Standort erklärt es, dass sie nur auf Vorderansicht berechnet
und der Rücken nicht völlig ausgearbeitet ist. Ein junger
Knabe in herben, keuschen Formen, wie sie namentlich in der
zweiten Hälfte des Quattrocento in Florenz und Rom immer
wieder verlangt wurden, blickt sehnsüchtig spähend in die Ferne.
Den jungen Leib bedeckt das Wüstenfell, das nur Arme, Hals
und Beine frei lässt; über die linke Schulter hängt der Mantel
frei herab. Der rechte Fuss ist ein wenig vorgestellt nach der
Richtung zu, in die das Auge weist, das aus dem von reicher
Lockenfülle umrahmten Gesicht mit der Frage zu blicken scheint:
Kommst du, der da kommen soll? Die im Berliner Museum
befindliche Thonbüste ist nicht das Modell, sondern eine freie
Nachbildung von Benedettos Arbeit.
17. Simon de Vos: Selbstbildnis. Unter den vielen Malern des
Namens de Vos, die zu Antwerpen thätig waren, ist Simon vielleicht
der am wenigsten bekannte. Er ist seinem Lehrer und Vater (?)
Cornelis, dem vortrefflichen Porträtmaler, in dessen Werkstatt
er schon 1615 eintrat, nicht gleichgekommen. Seine nicht
häufigen religiösen Darstellungen und Genrescenen sind recht
wenig interessant. Nur das Selbstbildnis, das kürzlich aus dem
Maagdenhuis zu Antwerpen in das dortige ^Museum gelangt ist,
hat grosse und fesselnde Eigenschaften und ist wohl geeignet,
das Gedächtnis des Malers in Ehren zu halten. In der freien
Haltung und Auffassung erinnert es von fern an Schöpfungen
des Frans Hals, während die Malweise die Schulung bei Cornelis
de Vos deutlich zeigt. Die in lateinischen Versen abgefasste
Inschrift berichtet, dass der Maler ein Wohlthäter der Armen war.
18. Masaccio: Die Schattenheilung. Das Fresko befindet sich
an der Altarwand jener weltberühmten Brancaccikapelle, durch
deren Bildschmuck Masaccio mit einem Schlage die befangene
Kunst des Trecento zu jener Freiheit und Sicherheit der
Gestalten- und Raumbildung hindurchführte, in deren Ausübung
die Quattrocentokunst ihr eigentliches Vorrecht erblickte. Der
Altar trennt unser Bild von dem Seitenstück zur Linken mit der
Almosenspende des Apostelfürsten. Beide Bilder wagen durch
kühnes Herauslegen des Augenpunktes aus dem Bilderrahmen
(bei unserem liegt er 4/5 der Bildbreite nach rechts in der Höhe
von Petrus' Scheitel) eine Raumtäuschung, die in zwei auf uns
zueilenden, erst in unserem Auge sich vereinigenden Gassen die
Mauerenge zu durchbrechen scheint. Durch die dämmerige
Gasse eines Ghetto wandelt der Apostel, von dem die Legende
rühmt: wohin sein Schatten fällt, heilen Gebrechen. Drei
Kranke haben sich auf die Strasse geschleppt. Der bärtige
Mann, den nur das Hemd bedeckt, hat schon das Wunder an
sich erfahren — er kann plötzlich stehen; der halbnackte Kahl-
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