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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_04/0017
Höhe im Kopfe der Mutter, ist mannigfach variiert
bis herab zu der gefassten Trauer, mit der der
breite und fette Patrizier zu äusserst links an dem
Liebeswerke teilnimmt. Der Schmerz erscheint
nicht erstarrt, wie in älteren Passionsdarstellungen,
sondern er ist gleichsam im Fluss dargestellt, er
durchströmt die Leiber, die sich in weichen Linien
beugen, neigen und wenden, und ergiesst sich in
die Hände, die eine beredte Sprache führen. Die
Schilderung ist reich an psychologischer Beobachtung.
Wenn wir vergleichend auf die dramatischen Schilderungen
des Roger van der Weyden blicken —
und mit keinem anderen Vorgänger wird Metsys so
lehrreich verglichen —, enthüllt sich recht die vorgeschrittene
und menschliche Auffassung des
jüngeren Meisters.

Die Gestalten des Metsys äussern ihren Schmerz
mit der Zurückhaltung, die den Kulturmenschen
eigen ist, nicht unmittelbar oder elementar, sie
wahren selbst eine schwungvoll gefällige Haltung,
wie gute Schauspieler, die die Herrschaft über den
Körper nie verlieren.

In diesem, an Kontrasten überreichen Werke
steht der runde Schwung des mit besonderem Ge-
schmacke gestalteten Faltenwerks, stehen die grossen,
sanften Bewegungen der Figuren im Gegensatz zu
den hageren Körperformen. Im Streit ferner mit
der feierlich ernsten Stimmung ist der reiche Schmuck
der Männer und der Frauen, und das Kolorit, das
in gewählten und entschiedenen, das in den höchsten
Lokalfarben schwelgt. Jener weltliche Prunk, der der
Antwerpener Kirchenmalerei zu denZeiten des Rubens
eigentümlich ist, scheint sich schon auf dieser Stufe
zu entfalten.

Die Darstellungen auf den Innenseiten der Flügel
sind im ganzen etwas wirr und überlastet, im
einzelnen von höchster Vollendung und köstlichem
Reiz. Mit einem zarten und empfindlichen Schönheitssinn
verband Metsys die besondere Neigung,
das Hässliche, Grinsende, Hämische, Groteske darzustellen
. Wie er die Grenzen der Darstellung
fast nach allen Seiten erweiterte, hat er die steigernde
Wirkung der Kontraste erprobt und komische
Figuren auf die Tragödienbühne gestellt. Von der
genrehaften Ausgestaltung religiöser Aufgaben kam
er zur eigentlichen Genremalerei.

Sein zweites Hauptwerk stand zu Löwen, in
der Peterskirche, als eine Stiftung der St. Annen-
Bruderschaft, und kam 1879 in das Brüsseler
Museum. Mit dem vollen Namen des Meisters
und mit dem Datum 1509 bezeichnet, ist dieser
Flügelaltar früher und nicht etwa später als der,
urkundlich 1508 bestellte, Antwerpener Altar entstanden
. Bei dem grossen Umfange und der erstaunlich
sorgfältigen Durchbildung beider Werke

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müssen wir doch wohl glauben, dass Metsys die
Arbeit mehrerer Jahre an jedes wandte, also annehmen
, dass er mit dem Löwener Altar, der 1509
datiert ist, fast fertig war, als er 1508 den Antwerpener
Auftrag empfing.

An Ausdehnung und an Zahl der Figuren steht das
Werk von Löwen hinter dem von Antwerpen kaum
zurück und hat überdies reichere und sorgsamer
gemalte Darstellungen auf den Aussenseiten der
Flügel. Sein milder, weiblicher Inhalt scheint der
Begabung des Meisters besser zu entsprechen als
die dramatischen Schilderungen der Antwerpener
Tafeln. Es scheint, als ob die Kunst des Metsys
sich hier ohne Zwang, reiner und mehr harmonisch
entfalte. In der Gesamtwirkung ist der Annen-
Altar feierlich, festlich und ein wenig mystisch, minder
reich an Widersprüchen als der Antwerpener Altar.
Die saubere und reiche Durchführung alles Beiwerks,
der prächtigen Gewandungen scheint dem repräsentativen
Beieinander in dem Mittelfelde besonders wohl
anzustehen.

In einem bleibt der Löwener Altar zurück
hinter dem Antwerpener. Er hat viel Unbill erlitten.
Wir hören von einer „Restaurierung", die schon im
17. Jahrhundert erfolgte. In unserer Zeit noch soll
den Gemälden von ungeschickten „Restauratoren"
hart zugesetzt worden sein. Und gewiss ist, dass die
Färbung vergleichsweise matt, süsslich und krankhaft
erscheint, und dass die Modellierung der Köpfe
manches an Kraft, Schärfe und Feinheit ein-
gebüsst hat.

Auf der Haupttafel sind dargestellt, in der Mitte,
in einer luftigen Halle thronend, die heilige Anna
und Maria mit dem Christkinde, rechts und links,
symmetrisch geordnet, je zwei Männer und je eine
Frau mit ihren Kindern, alles Glieder der Sippschaft
der heiligen Anna, wohl gestaltete Menschen von
edlem Anstand, in hellen, weit ausgebreiteten Gewändern
. Bei aller kirchlichen Feierlichkeit und festlichen
Stille ist das Familienhafte, namentlich in den
Kindern, die sich an die Mütter schmiegen, zart ausgedrückt
.

Die schmalen Flügelbilder erzählen ein wenig
geheimnisvoll, innen links — vom Beschauer — die
Verkündigung der Geburt Mariae an Joachim, rechts
das Sterben der heiligen Anna, aussen rechts, wie
das Opfer Joachims verworfen, links, wie es angenommen
wird. Deutlich und bestimmt ist die Erzählung
nicht, wohl aber fesselnd und Anteil gewinnend
. Der Sinn der Vorgänge ringt in den Köpfen
und Händen der Gestalten nach Ausdruck. Empfindungen
eines aristokratischen, wissenden und
fühlenden Menschentums, seelische Spannung, Erwartung
, zurückgehaltene Erregung, Scham und viele
Arten des Leidens sind ausgeprägt. Wie psychologisch


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