http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_04/0021
wissen: sowohl in dem herben,
strengen Florenz wie in dem weniger
ausgeprägten, oft schillernden
Pisa und dem für zierliche
Konvention sehr empfänglichen
Siena nimmt die Kunst diesen
genrehaften Zug in sich auf zunächst
aus Verlegenheit, dann aus
Leidenschaft. Wie steht es mit
den übrigen Kunstprovinzen? Rom
und Neapel können nicht in Betracht
kommen; denn jenes ist während
des avignonesischen Exils
verödet, dieses eine Dependence
von Siena. Aber Umbrien! Nun,
Umbrien hat nicht nur an dieser
Entwickelung teil, hier finden wir
die Heimat des Genres. Die um-
brische Empfindungsweise war von
je dem Monumentalen, Grosszügigen
ferngeblieben. Die Innigkeit
des Gemüts, die Zartheit des
Ausdrucks wird hier vor allem gewünscht
. Ein Umbrer — Franz
von Assisi — war es gewesen,
der den Menschen zuerst von der
Schönheit der Natur, der Süsse
des Vogelgesangs gepredigt hatte.
An seinem „Sonnensang", in dem
er den Menschen mit der ganzen
Natur verbrüdert, entzünden sich
die frommen Dichterherzen seiner Freunde. Der
Gegensatz zwischen Kirche und Welt scheint hier aufgehoben
in einer schönen Harmonie alles Lebendigen.
Kein Wunder, dass das so entsühnte Alltagsleben mit
all seinen kleinen Freuden und Sorgen sich nun auch
in die Legende des Dichters und Malers hinein
stehlen darf. Johannes predigt nicht mehr in der
Wüste am fernen Jordan, sondern steht auf dem
Umbrüchen Hügel; umbrische Bauern eilen heran
und hören neugierig zu, ihre Frauen raffen den
Säugling in die Schürze und setzen sich mit dazu,
hier und da ein klein bischen mit der Nachbarin
schwatzend. Der Hund des Hirten braucht sich jetzt
nicht mehr vor dem Lichtstrahl des Verkündigungsengels
zu ducken, er bellt den seltsamen Gast kräftig
an. Zacharias heuchelt keine falsche Vertrautheit
mit der schwierigen Schreibkunst, er malt als ehrlicher
umbrischer Landmann lange an dem Namen
Johannes herum, und das Enkelkind hält mit begreiflicher
Spannung das Tintenfass und staunt ob
der seltenen Beschäftigung des Grossvaters. Neben
solchen intimen Zügen der bäuerlichen Häuslichkeit
kommt dann auch das Leben der Gasse zu seinem
Recht. Da wird geschlendert und geschwätzt, man
Pisanello. S. Georg (Ausschnitt).
Fresko. Verona, S. Anastasia.
hat sich modisch angezogen, um
auf dem Korso bestehen zu können
, man lacht den Zechern zu,
die aus der Kneipe heraus mit
den Bechern winken und herauflocken
, während dicht neben ihrem
lauten Treiben der Täufer sein
ernstes Amt verrichtet. Die ganze
Fülle genrehafter Scenen finden
wir auf den Fresken in S. Giovanni
in Urbino vereinigt, wo zwei
Brüder Salimbene da San Seve-
rino im Jahre 1416 die Wände
mit Novellen aus dem Leben des
Täufers geschmückt haben. Aber
auch in früheren Bildern, wie sie
im Chor von ürvietos grosser
Kathedrale, auf Fresken in To-
lentino, San Severino, Fabriano,
Foligno zu finden sind, bricht
derselbe Humor und dieselbe
Naivetät durch.
Während der umbrische Maler
wesentlich ländliche Bilder vor sich
sieht und seine Scenen mit bukolischen
Nüancen belebt, wird
das Auge oberitalienischer Künstler
vor allem durch das bunte Hof-
und Kriegsleben beschäftigt, das sie
auf den Schlössern der Scaliger,
Gonzaga und Carrara in Verona,
Mantua und Padua täglich sich abspielen sehen.
Wenn der Fürst mit dem Gefolge zur Jagd ritt oder
vom Beutezug heimkehrte, wenn im hohen Saal Recht
gesprochen oder an langer Tafel bankettiert wurde,
dann füllte sich das Auge des Malers, der bei Spiel
und Ernst als familiaris immer willkommen war, mit
Bildern und Gestalten, die er bisher weder auf den
Fresken der Kirchwände noch auf dem Pergament
der Miniaturen gefunden hatte. Mit leidenschaftlicher
Freude gab er sich daran, das bunte Bild festlicher
Tage auf den Wänden der grossen Säle im
Schloss festzuhalten. Das Gastmahl des Herodes
wurde zum Gastmahl Can grandes, die Gerichtshalle
des Orients aus brocatello di Verona aufgeführt. Die
Soldaten unter dem Kreuz des Herrn trugen nun die
Uniform der mantuaner Söldner; die Frauen, die aus
Jerusalems Thor hinausdrängten, waren nach paduaner
Mode gekleidet. Was der grosse Veronese Altichiero
mit seinen Schülern im Schloss der Scaliger und
Carrasenen oder in den Kapellen des Santo in
Padua gemalt hat — mögen es nun Legenden der
Heiligen oder Mythen der alten Helden, wie Aeneas
und Dido, sein —, alles ist durchtränkt mit den
Zügen des Alltagslebens und der Gegenwartswirklich-
- 7 -
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_04/0021