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Altichiero. Kreuzigung (Ausschnitt).
Fresko. Padua, S. Antonio, Cap. S. Feiice.
keit. Und gerade darin beweist sich am besten die
Liebe zu der wirklich erlebten Situation, dass sich
in das Pathos der tragischen Haupthandlung der
genrehafte Zufall des unbekümmerten Lebens mischt.
Im Palasthof muss der heilige Jacobus den Giftbecher
leeren; im selben Augenblick steigt der ahnungslose
Kellermeister weinselig mit dem Krug die Kellertreppe
herauf, auf deren Brüstung ein kleiner Hund
sorglos schläft. Während am Kreuz drei Menschenleben
verbluten, schwatzen unten die Weiber, Knaben
prügeln sich um einen Stock und die Hunde benehmen
sich erst recht unpassend. Während die drei Könige
den feierlichsten Moment ihres Lebens vor dem
kleinen Christkind huldigend erleben, kreist bei dem
derben Tross die Flasche, die Pferde scharren ungeduldig
^ob der langen Ceremonie und suchen die
kleinen Grashalme der Strasse ab.
Man sieht aus allem: das wirkliche Leben lockt
zu mächtig durch den Zauber seines reichen Wechsels,
durch die Liebenswürdigkeit des bunten Zufalls —
kein Priesterwort kann es bannen, keines Abtes
Entsetzen es mehr verbieten. Jubelnd durchbricht
es die festen Schranken und ertrotzt sich bald nicht
nur Duldung, sondern sogar einen Ehrenplatz auf
der Altartafel und Kirchenwand.
Die beiden Künstler, die diesen Sieg mit ihren
Werken heraufführten und der Froü Werk ein
Heimatsrecht im Kirchenbild verschafften, entstammen
den beiden zuletzt geschilderten Kunstprovinzen.
Gentile da Fabriano ist, wie schon sein
Name sagt, ein Kind der umbrischen Lande,
Vittore Pisano hat hauptsächlich in Verona
gemalt. Der Erstere ist früh hinausgewandert,
hat in Venedig und Brescia gemalt und gestaunt
und bekam dann 1423 in Florenz den Auftrag, für
Palla Strozzi eine Altartafel mit der Anbetung
der Könige zu malen (Tf. 10. 11.). Hier ist nun
die feierliche Huldigungsscene ganz vom freudig
strahlenden Leben überflutet. Schon von weitem
sehen wir den bunten langen Tross durch die
Felder auf Bethlehems Thore zu reiten; nun
kommt er im Vordergrund an bei der fast
bestürzten kleinen Familie, die alles andere
erwartet hatte. Während die Könige Huldigung
und Geschenke darbringen, welche die Dienerinnen
staunend besichtigen, ist das übrige Gefolge
mit seinen Pferden, Hunden, Kamelen,
Panthern, Aeffchen sehr wenig andachtsvoll.
Die reiche Tracht der Fürsten, die scheckigen
Turbane ihres Gefolges, das blitzende Zaumzeug
der Schimmel, die bunten Wämser der
Knechte — all das giebt zusammen ein so
heiteres, farbenprächtiges Bild, dass der Orient
hier wirklich mit all seinen exotischen Ueber-
raschungen in die ernsten Mauern der florentiner
Trinitatiskirche eingezogen zu sein scheint. Am
Arno selbst dachte man zu streng und ernst, um
das Leben wie ein einziges Fest zu feiern und die
einzelne Stunde mit zierlichem Schmuck auszufüllen
. Das Bild wirkte wie eine entzückende Ueber-
raschung auf lange Zeit hinaus.
Der andere Künstler, Vittore Pisano, ist weniger
zierlich und lyrisch, aber auch ein echter Hofmann,
dem sich die ganze legenda aurea in einen blitzenden
Ritterroman verwandelt. Er muss ein leidenschaftlicher
Jäger gewesen sein; denn nirgends darf die Tierwelt
sich so breit und mausig machen wie auf seinen
Bildern. Er stickt die Landschaft mit tausend kleinen
Anekdoten aus dem Tier- und Menschenreich, er
porträtiert die Strasse mit all ihrem bunten Treiben.
Das Erbe dieser beiden Künstler der Ueber-
gangszeit wird von Männern angetreten, die monumentaler
, plastischer dachten und die zierliche
Tändelei ihrer Vorgänger bald verlachten. Diesen
aber wie denen, auf deren Schultern sie standen, gebührt
der Ruhm, die strenge Liturgik und trans-
cendentale Symbolik der alten offiziellen Kirchenfresken
aufgelockert und mit dem bunten Spiel des
lachenden Lebens erfrischt zu haben. Was sie erst
erkämpfen mussten, wird dann für ihre Nachfolger
ein selbstverständliches Recht.
Paul Schubring.
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