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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_04/0030
Veronesern Altichiero und Avanzo und dann im Beginne
des XV. Jahrhunderts in Pisanello' ihre vorzüglichsten
Vertreter gesehen hatte, als Erbteil
überkommen und mit Behaglichkeit weiter gepflegt.
Crivellis Geburt Christi bietet uns ein reich belebtes
Landschaftsbild, wie es feiner und minutiöser
und zugleich in seiner Art stimmungsvoller kaum
Mantegna selber hätte ausführen können.

Auch in den grossen religiösen Ceremonienbildern
Crivellis kommt das Genrehafte in mancherlei Zügen
zur Geltung, besonders im natürlich frischen Gebaren
des Christkindes und der Engel, manchmal
sogar etwas bizarr in den Gestalten der würdigen
alten Heiligen, z. B. im hl. Franziskus und dem hl.
Bischof, die im Berliner Altarbilde (s. Museum I,
Taf. 140) mit fast komischer Neugier hinter dem
Thron der Madonna hervorgucken. In ganz eigenartig
anmutiger Weise verbindet sich diese kindliche
Freude an der Schilderung des Einzelnen mit einer
wirklich poetischen Zartheit der Empfindung in dem
Londoner Bilde der Verkündigung von i486, das
mit Recht als eine der liebenswürdigsten und vollendetsten
Schöpfungen unseres Meisters angesehen
wird (Taf. 26). Die Komposition weicht von der
üblichen Darstellungsweise dieses Gegenstandes durchaus
ab. Der Maler gefällt sich in der breiten Schilderung
des palastartigen, reichgeschmückten Hauses,
in dem Maria in ihrem reinlichen, mit allem Zubehör
reichlich ausgestatteten Schlafgemach betend am
Gitterfenster kniet und der Botschaft des Engels
harrt, der draussen auf der Strasse niedergekniet
ist. Der Schutzheilige von Ascoli, S. Emidius, eine
mädchenhafte Jünglingsgestalt im Bischofsornat neben
ihm, schaut dem Engel staunend in das ernste,
schöne Antlitz. Fast wie eine Spielerei mutet es
uns an, wenn wir sehen, wie der Maler für die
Taube und den Lichtstrahl des hl. Geistes eine
sorgfältig ummauerte halbrunde Oeffnung in der
Wand des Hauses angebracht hat. Es ist nicht wahrscheinlich
, dass dieser Darstellung irgend eine spitzfindige
Erklärung des Mysteriums zu Grunde liege,
es ist wohl nur der kindliche Sinn des Malers,
der sich alles so fein säuberlich zurechtlegt, der sich
die Scene so behaglich und sinnenfällig ausmalt, wie
er sie selber an Stelle der handelnden Personen zu
erleben gewünscht hätte. So lässt er auch den feierlichen
Vorgang, ganz gegen die Tradition, harmlos
von einer Reihe von Nebenscenen aus dem Alltagsleben
begleitet sein. Es kommt ihm dabei offenbar
darauf an, den Eindruck der Weiträumigkeit und
der Pracht hervorzurufen, und so dem Beschauer
die religiöse Darstellung näher zu bringen und ihn

eine seinem eigenen Vorstellungskreise entsprechende
Idee der göttlichen Erhabenheit gewinnen zu lassen,
nicht etwa aus Ueberlegung und Berechnung, sondern,
weil er selbst gerade eben so naiv empfindet, wie sein
Publikum, und Freude daran empfindet, zu zeigen,
was er könne. Auf der Strasse, die sich in perspektivischer
Verkürzung nach dem Hintergrunde ausdehnt
, wie wir das auf niederländischen Bildern aus
der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts zu sehen gewohnt
sind, wandeln Männer und Frauen, mit sich
selber beschäftigt, einher, nur ein junger Mann in
langem Kleide blickt staunend zu dem Lichtstrahle,
der von einem Cherubkranze im Himmel ausgeht,
empor. Auf der Veranda über dem Bogen, der die
Strasse überbrückt, steht ein vornehmer Herr und liest
einen Brief, den ein Diener ihm gebracht hat, und auf
dem Treppenabsatze am Hause zur Linken ist ein
Mann im Gespräche mit zwei Mönchen begriffen,
während ein niedliches Bürschchen ängstlich und neugierig
um die Brustwehr des Treppenabsatzes herum
auf die Strasse zu dem Engel und dem Heiligen herabblickt
. An vielfältigem buntem Beiwerk von Tieren,
Schmuck und Gegenständen aller Art lässt es der
Meister wie in seinen anderen Gemälden auch hier
nicht fehlen. Ueberall bringt er reichlich Blumen und
Früchte in üppigen Guirlanden, auf den prächtigen
Marmorfussboden oder auf die Brüstungen hingestreut
, an, alles mit einer Sorgfalt und überzeugenden
Stofflichkeit, einer frohen Farbenpracht dargestellt
, die nicht nur Bewunderung erregen, sondern
vor allem auch in der That eine wohlthuende Heiterkeit
den Sinnen und dem Gemüt des Beschauers
mitteilen.

Es entspricht ganz dem konservativen Kunstcharakter
unseres Meisters, dass er der alten, soliden
Temperatechnik sein Leben lang treu geblieben ist,
obwohl die neue Oeltechnik schon lange von vielen
seiner venetianischen Zeitgenossen geübt wurde und
eine vollständige Umwälzung in der Malweise und
Farbenstimmung hervorgerufen hatte. Er versucht
auch nicht einmal, wie z. B. Mantegna es that, seine
Malweise wenigstens in ihrer Wirkung der neuen
Technik anzupassen, sondern fährt unbeirrt und
geduldig fort, die einzelnen Farben in vollen Tönen
sorgfältig übereinander zu setzen und mit feinster
Strichelung zu schattieren. Der farbigen Wirkung
seiner Gemälde, so wie er sie beabsichtigte, hat er
damit gewiss nicht Abbruch gethan und jedenfalls
seinen Werken durch seine solide Technik eine
Haltbarkeit verliehen, die sie vor allen Unbilden geschützt
hat, und die sie noch heute in der vollen
Frische ihres Farbenglanzes erscheinen lässt.

Paul Kristeller.

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