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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_04/0074
betung des Christkindes, für die Kreuzigung oder
Beweinung Christi, für die Vermählung oder Himmelfahrt
der Jungfrau hat Gaudenzio typische Stellungen
und Gruppen ersonnen, die er jahrzehntelang mit
leichten Varianten hier oder dort anbringt. Eine
ganz neue Komposition desselben Gegenstandes ist
bei ihm ein Ereignis. Auch für die einzelnen heiligen
Personen in ihrem äusseren Charakter, ihrem
Gesichtsschnitt und ihrer Komplexion hält sich
Gaudenzio gern an gewisse Typen. Aber diese
Typen dauern nicht lange. Und das ist das merkwürdige
: sie verändern sich so rasch und so gründlich
, dass damit der schwerfällige
Schematismus der
Komposition in einem rätselhaften
Widerspruch zu
stehen scheint. Nehmen wir
z. B. zwei Darstellungen der
Kreuzigung, die Gaudenzio
im Laufe eines Jahrzehnts
schuf: das Fresko in der
Franziskanerkirche zu Va-
rallo von 1513 und die —
zum Teil plastisch panoramenartig
ausgeführte —
Gruppe auf dem Varalleser
Heiligenberge, die 1523 vollendet
war. Die wesentlichen
Teile der Komposition sind
geblieben und doch würde
kein Unvorbereiteter auf
den ersten Blick dieselbe
Künstlerhand erkennen. So
völlig hat sich der Habitus
der dargsetellten Menschen
von hagerer gespreizter
Ueberzierlichkeit zu breiter
Fülle geändert. Oder man
vergleiche die Bilder der

Madonna, die Gaudenzio im'Laufe der Jahrzehnte gemalt
hat. Zuerst (in dem Altarwerk von Arona oder
in den Tafelbildern der Turiner Galerie) erscheint
sie als ein zartes ätherisches Wesen mit schlanken
schmalen Händen und scharf geschnittenem Profil.
Ein paar Jahre später begegnet uns der völlige, beinahe
derbe Typus der zuvor geschilderten Brera-
madonna. Als Gaudenzio um 1528 nach Vercelli
übergesiedelt war, verlieh er seinen Madonnen
manchmal eine hoheitsvolle Schönheit, die unverkennbar
vom Hauche Leonardos berührt war, und
die in nichts an jene früheren Idealgestalten erinnerte.
Abermals wandeln sich die Züge seiner Gottesmutter.

Gaudenzio Ferrari.

Fresko. Varallo, S

Sie wird zu einem rundlichen Geschöpr mit einem
liebenswürdigen verträumten Kindergesicht. So finden
wir sie zuerst auf den Fresken in San Cristoforo
zu Vercelli und später häufig auf den Bildern der
Mailänder Zeit des Künstlers. Am schönsten hat er
diesen letzten Typus veredelt in einem Bilde seiner
späten Jahre, der Marter der heiligen Catharina in
der Brera. Das Bild ist sonst nicht erfreulich, grellbunt
und unruhig überladen. Aber mitten in dem
Getümmel wüster Gesellen kniet die Heilige so hold
und so bezaubernd, dass der Beschauer trotz allem
doch wieder zu andächtiger Bewunderung gezwungen
wird.

Diese verschiedenen idealen
Frauenbilder lassen
uns einen Blick in das
innerste Gefühlsleben ihres
Schöpfers werfen. Gaudenzio
war kein Meister
der grossen dekorativen
Malerei. Ihm fehlte dafür
sowohl der sichere Geschmack
als die mühelos
erfindende Phantasie. Als
ein Verhängnis könnten
wir es betrachten, dass gehäufte
Aufträge immer wieder
monumentale Wandmalereien
vom Künstler
erheischten. Das beste, was
er zu sagen hatte, konnte
er hier kaum ausdrücken.
Gaudenzio war ein Maler
des Lebens und der Seele,
aber nicht im modern sentimentalen
Sinne. Sein Herz
erfreute sich an frischer
Gesundheit und an dem
Frohmut der Jugend. Einen
blondlockigen übermütigen Burschen, einen that-
kräftigen Mann, einen rüstigen Greis — die malte
er gern, aber viel lieber noch eine holde Frau.
Gerade die zartesten Regungen der weiblichen Seele
hat er verstanden und geschildert wie wenige
Italiener. Er zeigt uns das Weib nicht sinnlich berückend
, nicht leidenschaftlich erregt, aber er zeigt
es uns in allem Liebreiz der unverdorbenen Jugend,
in einer unvergleichlichen Mischung von ^.nmut,
Heiterkeit und Keuschheit. Uns Deutsche gewinnt
er damit doppelt, weil er uns in italienischer Schönheit
ein Ideal zeigt, das uns wohl vertraut ist als
ein köstliches Besitztum deutschen Wesens.

Christus und Pilatus.

Maria delle Grazie.

Gustav Pauli.

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