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die Stifter mit Heiligen (1. der hl. Bavo, r. der hl. Adriaen),
aussen Maria und der Engel Gabriel grau in grau dargestellt
sind. Es ist Avohl eines der früheren Werke des Künstlers,
unter allen erhaltenen Bildern das am sorgfältigsten durchgeführte
. Als ein Merkmal der Jugend kann das Sichverlieren
in schöne Einzelheiten — die Hintergrundsfiguren
sind voll der mannigfaltigsten Beize, bald kindlich naiv im
Ausdruck, bald grandios bewegt — und die dadurch entstehende
überragende Wirkung einzelner Bildteile gelten: so
frappiert auf den Flügeln beim ersten Blick der Panzer des
hl. Adriaen durch die erstaunliche Wiedergabe des Lichtes,
das in scharf«e«iiederten Flächen auffällt und jedes Glied
des Panzers bis zu den Schuppen der Fausthandschuhe hervorhebt
. Auch sind die Farben wärmer und tiefer als auf
den meisten anderen Werken (das Rot ist noch nicht so
blass und karminfarben wie auf den späten Wiener Tafeln),
die Technik ist kompakt und sorgsam durchgebildet.
Die Farbenkomposition geht von den Kostümen der drei
Hauptfiguren des Vordergrundes aus. Das schöne stumpfe
Blau des Mantels Marias, das einen wundervollen Zusammenklang
mit dem Botblond ihrer Haare und dem Weiss ihres
Kleides bildet, taucht im Grunde des Bildes allenthalben
wieder auf: in dem tiefen Ton der fernen bewaldeten Höhen,
dem helleren der Dächer der Stadt und dem blassen Blau
des Himmels. Aus dem Braun des Bodens im Vordergrund
leitet das Goldbraun des Brokatmantels des knieenden Königs
zu dem tiefen Karmin seines Kleides über; diese Farbe lebt
in dem Rosa einiger Kostüme der Hintergrundsgestalten
wieder auf. Der dritte Hauptton ist das im Halbdunkel
leuchtende Smaragdgrün des Mohren, das durch das Gelbbraun
seiner Lederschuhe gesteigert wird und sich m der
Tiefe in dem Grün der Wiesen wiederholt.
44. Geertgen tot Sint Jans: Johannes der Täufer. Das aus
englischem Privatbesitz stammende Gemälde wurde auf der
Brügger Ausstellung vom Berliner Museum erworben. ia-
mals und noch neuerdings hat man nnbegreifhcherweise
Zweifel an der Eigenhändigkeit geäussert. Wer wäre m
Holland ausser Geertgen zu einer Zeit, wo dort grosse Meister
noch dünn gesäet waren, eines solchen Werkes fähig gewesen?
Der Künstler hat in der Gestalt des Täufers den Schutzheiligen
der Johanniter, bei denen er wohnte, dargestellt und
vielleicht zugleich sein eigenes Bildnis wiedergegeben. Man
kann damit zwei Köpfe auf anderen Werken seiner .dand
vergleichen, die gleichfalls den Eindruck von Selbstbildnissen
machen: den bärtigen jungen Mann, der rechts auf dei
Wiener Verbrennungsszene träumerisch auf den Beschauer
blickt, und den zweiten von links im Gefolge der Konige
auf der Prager Anbetung, dem der Bart an Überlippe und
Kinn eben erst keimt. Aus diesen wie aus anderen Gründen
ergibt sich eine späte Entstehung des Berliner Bildes. Auch
auf dem Amsterdamer Sippenbild hat man ein Selbstbild m
dem blassen Jüngling, der hinten am Altartisch lehnt, erkennen
wollen, aber wie mir scheint mit Lnrecht da die
Haltung für einen sich selbst porträtierenden Kunstler last
unmöglich ist. , ,. . ., ,
Schon vielfach ist die Waldlandschaft, die als die emdruck-
vollste aller altniederländischen Naturschilderungen gelten
darf, gerühmt worden. Wo mag sie der Künstler gesehen
haben ? Bei Haarlem gibt es keine Wälder ausser dem
Haarlemer Hout, einem Stadtpark, der im fünfzehnten Jahrhundert
noch grösser als heute war, auch wohl m dem
welligen Terrain an Geertgens Landschaft erinnert, aber keine
Ausblicke auf waldige Höhen bietet, Nimmt man nun eine
Reise Geertgens nach Köln an, so ist es gut denkbar dass
er Eindrücke aus der Geldernschen und Cleveschen Landschaft
wiedergegeben habe. Haben doch auch che grossen
Haarlemer Landschafter des siebzehnten Jahrhunderts, Ruis-
dael und Hobbema, als deren Vorläufer Geertgens erscheint,
lr> diesen Gegenden ihre Studien gemacht. _ _
In der Wahl der Farben ist das Gemälde fast einzig unter
den zeitgenössischen Werken, da auf alle Buntheit verzichtet
]st und die Farben des Vordergrundes mehr als sonst mit
der Landschaft in Beziehung gesetzt sind. Das Blau des
Kleides und das Braun des Mantels der Figur sind mit grun
vermischt, auch die Töne der Landschaft. Beide Farben
sind so gedämpft dass man an die tonigen Wirkungen der
holländischen Gemälde der Zeit Rembrandts erinnert wird;
auch ist es verwunderlich, wie sichfdie Vorliebe der späteren
Holländer für das Braun, das in solcher Entschiedenheit
sonst nicht von den Primitiven verwertet wird, äussert.
45. Meister der Virgo inter Virgines: Die Kreuzigung Christi.
Der Künstler, der bedeutendste Kolorist unter den Frühholländern
und einer der originellsten Erfinder der Schule,
ist erst im Laufe der letzten Jahre eine greifbare Persönlichkeit
geworden, nachdem zuerst v. Tschudi und Friedländer
mehrere Werke seiner Hand zusammengestellt haben. Jetzt
sind etwa zehn Gemälde von ihm bekannt, von denen sich
nur noch eines, und nicht sein bestes, in Holland befindet.
Die anderen sind in englischem, französischen und deutschen
(Hamburger, Leipziger und Berliner) Privatbesitz zerstreut
oder befinden sich, wie die beiden abgebildeten, in öffentlichen
Sammlungen, in denen man sie nicht vermutet oder
nicht beachtet.
Der Künstler zeichnet ungeschickt, wenigstens kommt es
ihm wenig auf Naturtreue im Bilden der Körper an, wohl
aber beherrscht er als später Nachzügler der gotischen
Linienkünstler die Kunst, die Kontur als Ausdrucksmittel zu
verwerten. Höchst wirkungsvoll ist, wie sich der Schmerz
und die Sehnsucht in Magdalena durch die Linien ihres
nachschleppenden Gewandes und ihres gewundenen Körpers
nach oben ringt, wie sich die schlanke mitleidende Gestalt
Christi ihr leise entgegenbiegt, wie sich die Falten von
Marias Mantel in weichen Schwüngen an ihre gelösten Glieder
schmiegen, wie sich die geschweiften Bögen der Nebenfiguren
dem gesamten Linienakkord rhythmisch einfügen.
Dazu gesellt sich eine sprudelnde Lebendigkeit des Ausdruckes
in jedem Kopf und jeder Geste; mit naiver Eindringlichkeit
reden die Hände, bei aller Unbeholfenheit merkwürdig
deutlich. Bei der Hand des Reiters hinter dem Kreuz
meint man die schneidenden Vorwürfe zu hören, die er in
Gedanken bösen Menschen ins Gesicht sagt.
Geschmeidig wie die Linienführung ist die Malerei des
Künstlers. Keiner der Primitiven ist in dem Verschmelzen
der Umrisse so weit gegangen, keiner sieht so viel Luft
zwischen den Gegenständen und streicht die Farben so leicht
und locker über die Fläche. Selbst die grossen Holländer
des fiühen sechzehnten Jahrhunderts Lucas von Leiden,
Engelbrechtsen, Jacob Cornelisz sind mit ihm verglichen
rückschrittlich. Erst am Ende des Jahrhunderts und zur
Zeit Rembrandts wird die von ihm eingeschlagene Richtung
fortgeführt.
46. Meister der Virgo inter Virgines: Die Grablegung Christi.
Die Komposition frappiert ebenso durch die Kühnheit und
die fast erschreckende Eindringlichkeit des Gebarens der
Figuren, wie durch die leuchtende gesättigte Farbengebung,
in der das tiefe Blau des Mantels Marias, das warme Rot
bei den Kostümen der Männer, das goldene Grün bei den
umstehenden Frauen auffällt. Eigentümlich mischt sich das
tief Ergreifende mit dem Grotesken, fast Komischen, eine
schlichte Naturwahrheit mit einem phantastischen Linienstil.
Naiv und beschränkt sentimental sehen die begleitenden
Frauen drein, ihre Charakteristik verrät keinen aussergewöhn-
lichen Scharfblick. Aber in den drei Hauptfiguren, in Christus
Maria und Johannes, enthüllt sich eine erstaunliche Kraft
in der Wiedergabe starken seelischen Erlebens; Kopf- und
Körperbau scheint von dem augenblicklichen Empfinden
völlig durchdrungen, ja von ihm gebildet zu sein, und alles
was diese Menschen sonst noch bewegen könnte, ist vor dem
Eindruck eines tiefen Leidens beinahe bis zur Aufgabe der
Körperlichkeit ausgeschaltet. Mehr ein Bedürfnis nach
rhythmischer Bewegung als nach dramatischer Gestaltung
mag den Künstler zu der seltsamen Zergliederung der
Gruppen in zwei konvergierende Teile gebracht haben. Wie
in traumhafter Erregung bewegen sich die Gestalten, —
Christus auf der einen, Maria und Johannes auf der anderen
Seite — einander entgegen, nur einige Diagonallinien, die
durch die Haltung des Toten auf der rechten, den Fuss des
Johannes und den abgewandten Kopf der einen trauernden
Frau auf der linken Hälfte angegeben werden, deuten an,
welche von beiden Richtungen die entscheidende ist. Da
ein Kreis die beiden Gruppen umschliesst, wirkt die Lücke
in der Mitte nicht auffällig und betont nur das Zentrum des
Bildes und die Mittelachse: das Haupt Christi und seinen
rechten Arm.
47. Giovanni Francesco Barbieri, gen. Guercino: Bestattung
der heiligen Petronilla. Petronilla, aus der slavischen
Kaiserfamilie stammend, stand als Konvertitin in einem besonders
nahen Verhältnis zum hl. Petrus. Die Legende
macht sie zu seiner geistlichen Tochter und erzählt weiter,
dass die LTeilige von einem jungen Römer Flaccus zur Ehe
begehrt worden sei. Drei Tage erbat sie sich zur Bedenkzeit
. Hinfällig und schwach, wie sie von je war, schwand
sie unter dem strengen Fasten, das sie sich während dem
auferlegte, ganz dahin und starb, ehe die Frist um war. Der
heidnische Freier Hess ihren Leichnam aus dem Grabe heben,
um ihn prunkvoll zu bestatten. Guercino verband die Szene
der Exhumierung mit der Glorifikation vor Christus. Das
umfangreiche Gemälde, eines der allergrössten, die Rom beherbergt
, entstand im Auftrag Gregor XV (1621—23) und
war für Sankt Peter bestimmt. Clemens XI (1700—21) ersetzte
es durch eine Mosaikkopie. Das Original trat die
grosse Reise nach Paris ins Musee Napoleon an, und kam 1815
zurück an seinen jetzigen Aufstellungsort. Es gilt als Meisterwerk
des Malers aus der Zeit, da er mit dem Naturalismus
Caravaggios auch die Kraft seiner Modellierung und die tiefen
Farben seiner Palette übernommen hatte.
48. Giovanni Francesco Barbieri, gen. Guercino: Die heilige
Magdalena. Die eigentliche Blütezeit Guercinos fällt in die
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