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Alphonse Legros.
D
EM Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze",
heisst es. Mag es immer so sein. Wenn ihm
die Mitwelt deren nur genügend zuwirft, so wird er
sich wegen des Wegfalles der anderen leicht zu
trösten wissen. Wie aber steht es um die, denen
der Lohn für ihre Leistungen weder jetzt, noch, zum
freudigen Stolz ihrer Erben, später beschieden wird?
Dabei denke ich noch nicht einmal an jene Genies,
denen ein Gott gab, wie sie sich über ihr Leiden
hinwegsetzen mögen: was
wollen diese auch noch von
der Aussenwelt! Nein, es
gibt Menschen, deren Wirken
die nachhaltigsten Folgen
gehabt hat, deren Anregung
in weiter Verzweigung
und nach geraumer
Zeit zu den grössten Leistungen
der Menschheit
führte, die vom Gipfel
um sich schauend, sagen
könnten: „Seht, das alles
geht auf mich zurück,"
— und ihre Namen sind
selbst den ausgewählten
Kreisen entfallen.
Horace Lecoq deBois-
beaudran wurde wohl
Direktor einer Zeichenschule
, erhielt auch das
Kreuz der Ehrenlegion,
aber da seine Bilder in den
öffentlichen Sammlungen
fehlen, so ist er nicht darunter
, wenn das tausend
von Malern genannt wird.
Trotzdem ist er die letzte
Ursache von vielem Schönen
, das wahrscheinlich
hochgehalten werden wird,
nachdem der Ruf der meisten jener tausend Künstler
langsam einschlummern durfte. Er war der Lehrer
von — um nur zwei Meister anzuführen — Henri
Fantin-Latour und Alphonse Legros. Wenn ich
hinzufüge, dass er es war, der diesen beiden ver-
feinertsten Künstlerseelen den besonderen Anstoss
zu ihrer so verschiedenen, nur in der lauteren Vornehmheit
gleichen, Entwickelung gab, so habe ich
auch gesagt, warum sein Name in dankbarer Erinnerung
lebendig bleiben sollte.
A Legros, Kopf eines bärtigen Mannes.
Radierung, h. 0.387, br. 0.249.
Das verstrichene Jahrhundert schrieb mit Flammenschrift
ein Wort auf sein Panier „Die Beobachtung
". Wir haben geforscht und geforscht, bis
dass wir die Tatsachen, die uns bekannt geworden,
verdoppelten und die Nutzniessungen, die wir aus
dieser Verdoppelung gewinnen konnten, verhundertfachten
. Das alles beruht auf der Verschärfung
unserer Beobachtung der Dinge um uns, und während
früher vielfach neue Spekulation zu neuen Tatsachen
führte, folgen jetzt höchstens
einmalSpekulationen
den massenweisen neuen
Tatsachen nach. Wie mit
Blindheit geschlagen, sah
das menschliche Auge
früher nichts, wo sein
durchdringender Blick
heute Dinge und Kräfte
entdeckt, die alsbald zur
mannigfaltigsten Nutzanwendung
herhalten müssen
.
Wiealleanderen menschlichen
Geistestätigkeiten,
zeigte auch die Kunst im
Laufe des Jahrhunderts
diese Verehrung der „Beobachtungsgabe
". Als sie
sich zur Eigenart emporschwingt
, ist das neue, das
schärfere Sehen der Natur,
ihr Alpha und Omega. Wer
sie auch gefördert hat, die
Landschafter vonFontaine-
bleaUjdieStimmungsmaler,
die Impressionisten, die
Freilichtmaler, diePointil-
listen, — jeder von ihnen
wollte die Natur noch
besser beobachtet haben
wie sein Vorgänger, und auf Grund dieser genaueren
Beobachtung nicht ihren Schein, wohl
aber ihr Wesen getreuer wiedergeben. So entfaltete
sich wieder die ungeheure Verehrung der Natur als
Alma Mater, die deren unbeschränktes, inniges
Studium als Hauptvorbedingung aller Kunst fordert.
Nachdem einmal diese Forderung in weitestem Masse
anerkannt wurde, musste es gemächlich von selbst
kommen, dass kaum noch ein Maler sich einen
Stuhl zu malen getraut ohne Modell, es sei
IX.
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