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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_06/0037
Schlachtenbilder u. dergl., deren Wirkung fast mehr
für die Nähe als für die Ferne berechnet war, die
daher auch am stilvollsten an kleineren Gegenständen,
für die sie auch zunächst geschaffen wurden, zur Verwendung
kamen. Damit fand die für das europäische
Porzellan so charakteristische Verbindung desselben
mit der Miniaturmalerei statt. Der Europäer konnte
nicht vom Bilde lassen, gerade wie er es bei den
Majoliken auch schon nicht gekonnt hatte, und diese
Verbindung ist dann bis auf unsere Tage bestehen
geblieben, nicht immer zum Vorteil des europäischen
Porzellans, da oft bei grösseren Stücken die dekorative
Kraft solcher Darstellung versagte, andrerseits
sie schliesslich in den „Porzellangemälden" zu
einem Konkurrieren mit der grossen Malerei verführte
, das sie in grosse Gefahren bringen sollte.

Doch auch im übrigen dominierte der Orient
nur wenige Jahrzehnte. Es hat sogar den Anschein,
als ob nur das Fehlen einer bedeutenden plastischen
Kraft in Meissen dies Vordringen des koloristischen
Stils des Orients ermöglicht hat. Denn sobald
Kandier, der bedeutendste Plastiker des europäischen
Porzellans und wohl überhaupt der ganzen Keramik
auf den Plan trat, ist es mit diesem bald vorbei.
Kändlers Verdienste um die Entwicklung des europäischen
Porzellanstils können nicht hoch genug angeschlagen
werden: er ist der Begründer und zugleich
Vollender des klassischen europäischen Porzellanstils
, der noch heute als der eigentlich mustergültige
gilt. Er ist dies durch zweierlei Umstände
geworden: einmal durch seine persönliche Begabung,
die sich nicht bloss als ganz erstaunlich schöpferisch,
sondern auch als äusserst technisch verständnisvoll
erwies, dann durch das glückliche Zusammentreffen,
dass gerade damals in Deutschland das Rokoko von
Frankreich seinen Einzug hielt, mithin derjenige Stil,
der seiner ganzen Natur nach als der für diesen Stoff
geeignetste immer gegolten hat. Denn seine Unbestimmtheit
der Formengebung, die Freiheit seiner
Laune und Willkür, das gänzlich Originelle, in gewisser
Weise auch sein Reichtum, das war gerade
was das formal so unbestimmbare, aller bisherigen
Kunstpraxis spottende Porzellan verlangte, das war
es, was hier allein zu einer erträglichen Ausbildung
des plastischen Elements führen konnte. Kändler
hat von allen diesen Vorzügen ausgiebigsten Gebrauch
gemacht. Er hat das plastische Element von neuem
für das Porzellan erobert, aber er weiss jetzt eben,
indem er sich innerhalb dieses neuen Stils hält, von
aller Härte, Strenge und Schärfe sich frei zu halten
und ihm etwas Weiches, Unbestimmtes zu geben, das
in diesem Stoff wie etwas völlig Ungezwungenes,
Selbstverständliches erscheint, so sehr, dass Gottfried
Semper einst den Irrtum begehen konnte, das Rokoko
aus dem Porzellanstil abzuleiten. Zwar ist auch

Kändler gerade wie Irminger zunächst von der Kunst
der Goldschmiede ausgegangen hatte doch das
ganze Rokoko von hier seinen Anfang genommen —
daneben aber hat er mit feinstem Geschmack eine
Fülle von ganz originalen, äusserst phantasiereichen
Entwürfen geschaffen, die nur für die Ausführung
in Porzellan gedacht sind, in jedem anderen Stoffe
undenkbar erscheinen, das Porzellan aber zur vollen
künstlerischen Wirkung bringen. Kaum je hat ein
deutscher Künstler auf dem Gebiet der dekorativen
Kunst eine so umfangreiche schöpferische Tat vollbracht
. Er hat damit auch die deutsche Kunst vor
der Schmach gerettet, damals gänzlich im Schlepptau
der französischen Kunst zu segeln. Frankreich
selber ist ihm auf diesem Gebiet tributpflichtig geworden
.

Der Europäisierung der plastischen Seite des
Porzellans musste die der malerischen folgen. Bald
tritt an die Stelle der ostasiatischen Blumendekoration
die mehr oder weniger naturalistische
Blumenmalerei, bald noch als einzelne Streublume,
bald als ganzer Strauss. Auch die Miniaturmalerei,
der erste europäische Typus der Porzellanmalerei
drängt sich immer mehr in den Vordergrund, sie verfeinert
sich und erobert neue Stoffgebiete, namentlich
in den Watteauszenen das Reich der Erotik, das für
das Zeitalter des Rokoko das charakteristischste Stoffgebiet
gewesen ist. Die Ungebundenheit der Sitten
passte zur Ungebundenheit der Formen.

Bis dahin, bis zum Ausgang des Rokokos hat
das Meissner Porzellan in der Entwicklung des
europäischen die unbedingte Führung gehabt. Der
Meissner Porzellanstil ist der Porzellanstil der Zeit.
Namentlich im Rokoko, da überall, vor allem in
Deutschland die Porzellanfabriken aus der Erde
schiessen, ist er das ewig nachgeahmte Vorbild, dem
gegenüber man keine neuen Wege einzuschlagen
weiss. Dies Verhältnis lockert sich beim Aufkommen
des Louis XVI.-Stils. Meissen hält länger am Rokoko
fest, als es der Zeitgeschmack wünscht, es
fehlen ihm jetzt auch die schöpferischen Kräfte, die
seine vorige Periode so gross gemacht hatten. Vor
allem aber hat jetzt Frankreich sein eigenes Porzellan
, wenn dies auch eigentlich nur das Surrogat
eines solchen war, und sucht nun auch auf diesem
Gebiete sein sonst überall willig anerkanntes Ueber-
gewicht zur Geltung zu bringen. Es gelingt ihm
vor allem in England, wo ihm ein verwandtes Porzellan
hiebei zu Hilfe kam. Doch auch in Deutschland
findet es Anerkennung und Bewunderung;
selbst Meissen macht, um sich aufzufrischen, hier
Anleihen. Freilich um einen irgend wie grundlegenden
neuen Stil hat es sich hier nicht gehandelt.
Zunächst sind es die der Antike sich wieder
nähernden Formen des Louis XVI.-Stils, die dem

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