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einem Block des besten parischen Marmors gearbeitet
und mit höchster Meisterschaft ist diesem
edlen Materiale abgewonnen, was es nur immer an
Schönheitswirkung in sich birgt. Die Wirkung ist
dadurch gesteigert, dass die Oberfläche an den verschiedenen
Teilen des Werkes nicht gleich behandelt
ist. Der nackte Körper ist von geradezu blendendem
Glanz, die Fläche glatt, wie geschliffen, und so das
Licht auffangend und zurückstrahlend. Dagegen ist
alles Beiwerk in gedämpftem Tone zurückgehalten.
Die Fläche des Gewandes, mit den feinsten Raspelstrichen
übergangen, setzt sich weich von dem
Baumstamm ab, dessen rauhe streifige Rinde durch
kurze und rasch um die Rundung geführte Meissel-
schläge ausgedrückt ist. Hier, wie ebenso am Haar,
dessen lockere Masse mit stumpfer trockener Oberfläche
über der glänzenden Stirnhaut ansteht, und
an den gekörnten Schmuckplatten und Bändern der
Sandalen hat einst ein leichter Farbenauftrag, von
dem leider nur geringe Reste erhalten sind, die
durch Meissel, Raspel und Feile bewirkte Wiedergabe
und Hervorhebung des Stofflichen unterstützt.
Auch die Brauen und Augensterne und die Lippen
waren bemalt. Man kann sich die Ausführung dieser
farbigen Zutaten nicht leicht fein genug denken, ihre
reizvolle Wirkung kaum ermessen.
Nach den vorhandenen Resten war das Haar
rot und auf diesem getönten Grund lag ein metallener
Blätterkranz. Spuren von Rot und Gold sind
auch an den Sandalen. Das Gewand könnte einen
hellvioletten Ton und einen breiten hellgelben oder
etwa goldigen Saum, der Baumstamm eine bräunliche
Färbung gehabt haben. So wäre die Bemalung
in denselben Farben abgestimmt gewesen, wie sie
an dem Alexandersarkophag (Museum I 46), der der
Kunst des Praxiteles noch sehr nahe steht, die herrschenden
sind.
Nach glaubwürdiger Ueberlieferung soll Praxiteles
die von seinen Werken besonders hoch geschätzt
haben, an denen Nikias, einer der berühmtesten
Maler jener Zeit, die farbige Behandlung
ausgeführt hatte. Darin ist ausgesprochen, welchen
Wert er auf diesen abschliessenden Teil der Arbeit
legte, ohne den nach dem damaligen künstlerischen
Empfinden jedes plastische Marmorwerk unvollständig
, der beabsichtigte Eindruck unerreicht geblieben
wäre.
Vom Hermes gilt noch in anderem Masse als
von allen anderen Werken der Antike, dass man
ihn im Original gesehen haben muss. Das ist freilich
nicht ganz leicht zu erreichen. Denn er ist ja,
weil er zufällig dort gefunden wurde, in dem abgelegenen
Olympia verblieben; und er teilt in dem
dortigen Museum leider mit den übrigen olympischen
Funden das Schicksal einer sehr ungünstigen Aufstellung
. Aus den Gipsabgüssen, auch aus den besten
photographischen Reproduktionen gewinnt man von
der Feinheit und Eleganz der Behandlung der Oberfläche
keine hinreichende Vorstellung, sie geben aber
selbst den Eindruck der plastischen Formen im ganzen
nicht genügend wieder. Die Figur erscheint im Marmor
schlanker und leichter; das liegt hauptsächlich an
der überaus kunstvollen Behandlung der Umrisse.
Sie setzen sich ohne Härte und Schärfe ab. Sie sind
mit feinster Berechnung der Lichtwirkung des
reflektierenden, transparenten parischen Marmors,
in wundervollem Linienspiel leicht anschwellend und
einbiegend, in weichen Uebergängen und sanfter
Rundung so geführt, dass sie den Körper wie zurückweichend
und verschwindend umschliessen. In dieser
Ausbildung der Konturführung war der Plastik die
Malerei vorangegangen, wie die Ueberlieferung über
Parrhasios erkennen lässt.
Es ist bezeichnend für die Kunst des Praxiteles,
dass das Porträt in ihr so gut wie gar keine Rolle
spielt. So ist auch in den Körpern, wie er sie dargestellt
hat, das Individuelle, Persönliche unterdrückt,
man möchte sagen ausgeschaltet, zu gunsten einer
reinen, über alle irdischen Mängel, Zufälligkeiten,
Besonderheiten hinausgehobenen Schönheit. Aus
Diderots Versuch über die Malerei führt Goethe
den Satz an: „Wenn eine Figur schwer zu erfinden
wäre, so müsste es ein Mensch von fünfundzwanzig
Jahren sein, der schnell auf einmal aus der Erde
entstanden wäre und nichts getan hätte." Der Hermes
ist eine solche Figur. Seine schwellenden
Glieder verraten nichts von Tätigkeit, von Arbeit,
die die Entwicklung des Körperbaues bestimmt,
weisen nicht auf ein vorangegangenes, ja immer
unter bestimmten Bedingungen sich vollziehendes
Wachstum zurück. Sie sind wie „auf einmal entstanden
". Vielleicht ist damit das Göttliche besonders
treffend ausgedrückt, das Göttliche, wie es in der
allgemeinen Vorstellung der praxitelischen Zeit lebte.
Aber in dieser oder genauer in der nächstfolgenden
Zeit hat ein anderer grosser Künstler, dem das
Individuelle und Wirkliche alles war, Lysippos, die
Gottheit in engegengesetzter Auffassung gebildet.
Unter den Werken, die mit Wahrscheinlichkeit auf
ihn zurückgeführt werden, finden wir auch die Darstellung
eines Hermes in der aus Herkulanum
stammenden Bronzestatue, die den Gott auf einem
Felsen sitzend zeigt (Museum VII 134). Nichts ist lehrreicher
, als diesen Hermes mit dem des Praxiteles zu
vergleichen. Hier, in der Bronze, ein geschmeidiger
Körper von straffen elastischen Gliedern, die so, wie
sie sind, durch Uebung und Schulung geworden sind.
Durch Uebung im Lauf. Es ist das lebensvollste Bild
des Götterboten, der mit beflügelter Sohle im Lauf
die Weiten durchmisst.
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