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Rembrandt. „Noli me tangere
Auf Leinwand, h. 0.6;
nisvolle Fluidum, das sie umgibt, die Vibration
der Luft und des Lichts im Raum, die Macht der
Vergegenwärtigung, all das gibt eine Grösse und
Tiefe, etwas Aufregendes und Spannendes, das von
den Sinnen und der konkreten Vorstellung auf ganz
andere Gleise hinüberdrängt. Und dies wäre nun
der Ort, zu überlegen, wie bei Rembrandt die religiöse
Malerei zu einem eigentümlichen Ziel kommt,
und wie die Genremalerei in einem Sinne geübt
wird, den sie bis dahin noch nie besessen hat.
Von seiner Art, alles ganz natürlich zu geben,
und ihrer rücksichtslosen Anwendung auch auf
religiöse Gegenstände, ist schon die Rede gewesen.
Es ist ihm selbstverständlich, Joseph und Maria als
holländische Bauern oder Handwerksleute, die Pharisäer
als Juden aus der holländischen Judenschaft,
seinen Christus ohne übernatürliche Schönheit,
sondern immer menschlich, aber mit sehr vergeistigtem
Ausdruck vorzustellen. Man wendet dagegen
oft ein, indem Rembrandt die Individualisierung
zu weit treibe und alles zu sehr lokalisiere,
nehme er seinen Gestalten das Allgemeingültige und
Verständliche, wodurch sie in der Phantasie aller
;'. Braunschweig, Gemäldegalerie.
, br. 0.79. Bez. 1651.
Zeiten lebten. Die Frage ist aber, ob Rembrandt
in seinen Modellen sozusagen stecken geblieben ist.
Dies hiesse doch, ihn mit so manchen modernen Orientmalern
verwechseln, denen die heilige Geschichte
nur ein Vorwand für exotische Kostüme ist. Je
wirklicher und schärfer ein bestimmtes Menschentum
von ihm gefasst worden ist, um so tiefer wird
doch die Energie des Lebensgefühles im allgemeinen
empfunden, die von diesen individuellen Wesen
ausströmt. Sagt man aber, die religiöse Vorstellung,
die mit der poetischen nicht dieselbe ist, fordere
zu ihrer Nahrung das Ueberhistorische, Ueberindi-
viduelle, so ist zunächst darüber nicht zu streiten,
da hier konfessioneller Standpunkt und Gewöhnung
mit entscheidet.
Was bedeutet es nun, wenn man vor gewissen
Rembrandtschen Werken im Zweifel sein kann, ob
etwa eine Zimmermannswerkstatt und eine Handwerkerfamilie
oder eine „heilige" Familie beabsichtigt
und dargestellt ist? Man sieht einen Raum, in den
durch die Butzenscheiben eines grossen Fensters
die Sonne hereinscheint. Zunächst am Licht der
Mann mit seiner Arbeit, dann die Frau mit dem
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