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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_06/0078
Kind beschäftigt und die Grossmutter daneben.
Man denke sich einen Augenblick, wie Raffael oder
Murillo die heilige Familie dargestellt haben. Zuerst
ausgesuchte, hübsche Kindermodelle, sodann
ein gewisser linearer Aufbau der Gruppe, der dem
romanischen Schönheitsgefühl entspricht, schliesslich
eine angenehme Wirkung der Färbung und Be-
leuchtnng, also ein „schönes Bild". Die Erkennbarkeit
der Heiligkeit dieser Familie beruht, abgesehen
von der „Schönheit", einem je nach religiöser
Auffassung nicht einwandsfreien religiösen
Motiv, auf dem Heiligenschein, der den Köpfen beigegeben
ist. Wird man nun sagen, dass diese
blosse Konvention, das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein
eines Heiligenscheines, ein religiöses
Kriterium sei? Gegenüber der gefällig sinnlichen
Wirkung jener romanischen Madonnen gibt Rem-
brandt etwas ganz anderes. Vergeblich sucht man
irgend eine Schaustellung und Pose schöner Menschenkinder
; es ist nicht das Aeussere, was hier Ziel
der Darstellung ist, sondern das Innere, ihr Glück
und ihre Liebe. Aus diesem dämmerigen Raum
strömt, was man für gar nicht malbar halten sollte,
eine Fülle von Gemüt; alles ist so still und traulich
und heimelig. Man hört das Herz des Bildes
klopfen. Und so ist es bei vielen Genredarstellungen
dieses Künstlers. Das einmalige, sittenbildliche erhält
eine ungeahnte Vertiefung; aus diesem beschränkten
Menschlichen löst sich ein allgemein
Menschliches; das Irdische und Zufällige wird geheiligt
. Ist das nun religiös? Die Zukunft wird
es lehren.

Die Dämmerstunde, da die konkrete Erscheinung
ihren bestimmten Umriss verliert, da an die
Stelle des ordnenden und rechnenden Verstandes
das halbwache Gefühl tritt, ist die Lieblingzeit, in
der Rembrandt seine Fäden spinnt; all die Dämmergefühle
, die er in der bildenden Kunst entdeckt hat,
entwickelt er aus dem Gemenge von Licht und
Dunkel; sein Tag besteht eigentlich aus vierundzwanzig
Dämmerstunden. Aber freilich, in diesem
Zwielicht wogt nicht nur stilles Glück der Herzen
oder Lust einsamen Denkens, überhaupt nicht immer
gemütliche oder geistige Freude; auch das Dämonische
steigt aus ihm wie aus einer Drachenhöhle empor.
Die grosse Leidenschaft und der grosse Schmerz,
der Kampf um Leben oder Tod, und noch eines,
die schwüle Sinnlichkeit.

In der Darstellung des Nackten, in der die
Antike und Renaissancekunst ihr Hauptprogramm,
ihren eigentlichen Mittelpunkt gefunden hat, zeigt
Rembrandt die sprechendsten und bezeichnendsten
Abweichungen. Nicht nur, dass das Nackte einen
sehr kleinen Teil im Umfang seiner Kunst einnimmt
, es entbehrt des Reizes, der Verführung

und der Schönheit, mit der es die alte Kunst ausstattet
und verklärt. Rembrandt ist zu sehr aus
einem Guss, um an irgend einer Stelle seine Natur
zu verleugnen. Er gibt auch das Nackte natürlich
und lediglich natürlich. Nicht nur, wo es sich um
Studium des nackten Körpers, um Uebung und
Beobachtung handelt, auch in den Bildern erscheint
das Nackte ohne jede Korrektur und Schminke,
ohne Schönheit, die es adeln, die es vergöttlichen
könnte. Freilich hat vielleicht niemand „bessere
Akte" gemalt; sie sind von einer Wahrheit und
Illusion sondergleichen. Es liegt etwas Fürchterliches
in ihrer sinnlichen Wirkung. Die geringere
Lebenswirklichkeit, das Abstrakte klassischer
nackter Körper gibt diesen eine Art Natürlichkeit einer
anderen, nicht menschlichen Natur. Bei Rembrandt
ist seiner ganzen Art nach das Nackte immer ein
Ausgekleidetes, heimlich Belauschtes, Erregendes,
Schwüles. Es ist das Nackte der Wirklichkeit, das
moderne Nackte. Weil er nicht der Mann war,
sich von hergebrachten Uebereinkömmlichkeiten
fesseln zu lassen, hat er sich in seinem irdischen
Dasein manche Freiheit genommen. Dieses geht
die Geschichte und die Nachwelt nichts an. Die
Unregelmässigkeiten seines häuslichen Lebensspielen
in dem Abschluss der vier Wände seines Hauses.
Ein Libertin, der öffentliches Aergernis gegeben
hätte, ist Rembrandt nicht gewesen, und der einzige
Skandal seines Lebens war sein Bankerott, in dem
mehrere Gläubiger viel Geld verloren haben. Dies
geht den Menschen an, und nicht den Künstler.
Seine Kunst ist hoch über dem Schlamm gewesen,
so hoch wie nur irgend eine Art Kunst. Es gibt
eine scheinbare Ausnahme, und merkwürdigerweise
ist das Werk, das wir meinen, sehr berühmt, was
nicht hindert, dass wir es wirklich undelikat finden.
Der Kennerhochmut hat bei uns in so weiten Kreisen
als selbstverständlich proklamiert, dass „der Gegenstand
" eines Bildes gleichgültig sei, dass auch das
Publikum häufig verlernt hat, richtig zu empfinden.
Das Bild, von dem wir sprechen, ist das Doppelbildnis
Rembrandts und seiner Frau in Dresden. Es gehörte
ihm und seiner Frau, und so weit geht es keinen
Menschen auf der Welt an, etwas hineinzureden.
Indessen darf man zweifeln, ob er ein solches Bild
verkauft und einer öffentlichen Sammlung überlassen
haben würde. Unser Jahrhundert ist in seinem
wissenschaftlichen Hunger nach „documents hu-
mains" so indiskret gewesen, dass wir den einfachsten
Takt verloren haben. Dieser Fall gehört
in das Kapitel der „missbrauchten Liebesbriefe".
Wollen wir wissen, wie Rembrandt seine Frau
gemalt hat, so kann man nach Kassel gehen und
in dem grossen Saskiaporträt eines der schönsten
Bildnisse bewundern. Carl Neumann.


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