http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_06/0079
Rembrandt.
REMBRANDT hat viel gemalt, und doch nicht
genug. Er hat einige Monumentalaufträge gehabt,
die grossen Gruppenbildnisse, die in Holland die
Verehrung seines Genius lebendig halten; aber was
gäben wir darum, wenn wir ein paar grosse Werke
von ihm hätten, in denen seine Phantasie freien
Spielraum gehabt hätte! Ein zerschnittenes Bruchstück
einer grossen Historie besitzt die Stockholmer
Sammlung. In Rotterdam ist eine merkwürdige
Skizze, die 1648 aus Anlass des Westfälischen
Friedens entstand und eine Allegorie auf die damals
von Europa bestätigte holländische Unabhängigkeit
ist. Es sind gerüstete Reiter und Pferde von herrlichster
Bildung auf diesem Entwurf. Hätten wir
doch im grossen solche Pferde von Rembrandts
Hand! Freilich ist Rembrandt auch im kleinen
Format gross, aber zumal für uns, die wir den
Monumentalstil suchen - und fortwährend Anlehen
dafür in toten Kunstsprachen machen, ist dies eine
furchtbare Lücke, dass wir nicht wissen, wie Rembrandt
seine Sprache solchen Aufgaben angepasst
hat. Seine Fähigkeiten, aus der nüchternen Gegebenheit
des Modells Poesie, Geist, Phantasie zu
entwickeln, sind so gross, dass das Problem eines
modernen Monumentalstils, auf der Grundlage
der Wirklichkeit und Aehnlichkeit die grossen und
bleibenden, die ewigen Züge hervorzutreiben, sich
fragend nach ihm umsieht.
Nirgends hat Rembrandt die Möglichkeit, den
Zwang des Sachlichen mit der Freiheit des Imaginativen
zu vereinen, nachdrücklicher erwiesen
als im Bildnis. Seine Bildnisse sind ein vorwiegender
Teil seiner gesamten künstlerischen Tätigkeit,
und wenn bei anderen Künstlern von vorwaltender
Einbildungskraft die Porträtaufgabe als Beschränkung
empfunden und ausgeschaltet wird, so ist sie bei
ihm von Anfang bis Ende seiner Laufbahn eine
nie aussetzende Uebung gewesen. Er ist nie müde
geworden, sich selbst zu malen, und nur vorübergehend
ist dabei einige Jugendeitelkeit im Spiel
gewesen. Vielleicht hat kein Künstler sich so wenig
verklärt im Spiegel gesehen und hat eine so weitgetriebene
unpersönliche Beobachtung und Objektivität
zu bewahren vermocht. Die Hoheit und das
Majestätsbewusstsein des Künstlers geht so weit,
dass selbst der Rückgang und die beginnende Auflösung
der körperlichen Form des Menschen festgehalten
wird, und es ist etwas tief Ergreifendes,
an den spätesten Selbstbildnissen zu verfolgen, wie
der Künstler den Menschen sozusagen überlebt.
Mit dieser wissenschaftlichen Ruhe und moralischen
Gleichgültigkeit des Beobachters des positiv Vorhandenen
und aller äusseren Tatsächlichkeiten verbindet
sich ein ratendes und ahnendes Gemüt, welches
unter den Zufälligkeiten der Einzelerscheinung
die tiefe und zwingende Einheit, die konstitutive
Gestaltungsnorm entdeckt. Die seltene Möglichkeit,
aus einer Formenlaune der Natur das individuelle
Gesetz dieser Bildung, aus den Additionen von
Willens-, Geist- und Gemütsregungen einen Charakter
zu postulieren und nachschaffend zu dichten,
hier ist sie erfüllt. Bildnisse, wie einige der Selbstporträts
, wie der Six in der Sammlung gleichen
Namens in Amsterdam, wie der Bruyningh und der
sogenannte Architekt in Kassel, der Mann mit der
Büste in der Sammlung Kann in Paris gehören zu
den grössten Wunderwerken der gesamten Kunst.
Es sind Charakterdichtungen, die einzig und allein
mit den grossen Shakespeareschen Gestalten eines
Lear, Hamlet, Othello verglichen werden können.
Und nun gelangen wir zu einer ganz seltsamen
Feststellung. Wer die Erfahrung der Kunstgeschichte
kennt, weiss, dass die Bildnismaler keine
Landschaftsmaler sind und die Landschaftsmaler
keine Figurenmaler, geschweige denn Porträtisten.
Dies liegt bis zu einem gewissen Grad in der Natur
dieser Aufgaben begründet, welche sehr verschiedene
geistige Anlagen und Uebungen voraussetzen. Rembrandt
hat die entgegengesetzten Pole des Kunstgebietes
berührt. Er ist ein ebensogrosser Bildnis-
wie Landschaftsmaler. Sein Schaffensdrang und die
Macht seiner Gestaltung ist so elementar, dass keine
Methode und keine Gewöhnung geistiger Anpassung
ihn bindet, dass alles in der Welt für ihn Gelegenheit
wird, seine Kunst zu üben und zu erproben.
Von besonderem Interesse ist es, in seiner Landschaft
dieselbe Doppelströmung wie in seinem Porträt
zu begegnen, die Vereinigung von Eigenschaften,
die gewöhnlich auf zwei Künstlerindividuen verteilt
sind.
In den Radierungen überwiegen die gesehenen
und geographisch bestimmbaren Landschaften. Es
sind holländische Flachlandschaften, Kanäle mit
Brücken und Schiffen, Strassen und Windmühlen,
strohgedeckte Hütten, Heuschober und Zäune und
stehende Wasser mit beschattenden grossen Bäumen,
Fernblicke auf die weite Ebene. Alles mit einem
sicher treffenden Strich, der das Wesentliche packt,
mit einer vollendeten Abstufung des Raumes an
Motiven, die bei dem Charakter der Ebene das
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_06/0079