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nehme Florentiner damals zur Tafel sass; dass aber
in der Mitte eine Frau tanzt, stört nur, weil die Bewegung
unglaubhaft ist; und dass das Ganze ein
dramatischer Vorgang sein soll, geht uns überhaupt
nicht auf.
Noch lehrreicher ist der Vergleich einer der
beiden Versionen des „Abendmahls", die Ghirlandaio
hinterlies (in San Marco und Ognissanti), mit andern
Darstellungen. Wie bewegungslos und undramatisch
erscheint sein Werk, wenn wir Castagnos Abendmahl
in Sant Apollonia uns vorstellen. Hier fehlt
zwar auch der Handlung der Mittelpunkt, aber
die einzelnen Gestalten leben, reden mit einander;
jeder der Apostel ist ein Charakter; bei Ghirlandaio
aber ist keine Verbindung hergestellt und aus
den einzelnen Gestalten hat er nichts als ältere oder
jüngere, übrigens ganz beliebige Männer zu machen
gewusst. Blickt man vollends vorwärts zu jener
Lösung, die im selben Jahrzehnt, da Ghirlandaio
aus dem Leben schied, dem Genius gelang, sucht
man aus den Fragmenten im Refektorium von Santa
Maria delle Grazie sich wieder erstehen zu lassen,
was Leonardo hier gegeben: dann verblasst Ghirlandaio
ganz zum Schemen, nicht weil er Quattro-
centist war, sondern weil seine schwächliche Begabung
dem erhabenen Stoff nicht ein lebendiges
Moment abzugewinnen verstand.
An einigen Stellen kann man solche Vergleiche
an den Kunstwerken selbst anstellen, ohne des
Mediums der Erinnerung zu bedürfen. In der
Kirche Ognissanti sind einander gegenüber zwei
Heilige gemalt, Hieronymus und Augustinus, von
Ghirlandaio und von Botticelli. Man könnte aus
diesen Werken das Wesen der beiden Künstler
fast erschöpfend ausdeuten — den liebenswürdig
äusserlichen Domenico, der bei allen Nebensachen
verweilt, und darüber vergisst, dass er in einer
Menschengestalt den Mittelpunkt für die Einzelheiten
geben soll; den herb innerlichen Sandro, der
den Charakter im Moment der Inspiration darstellt.
Zum zweiten Mal trifft man beide, dieses Mal
mit andern Florentinern und Umbrern, in der
sixtinischen Kapelle, die sie im Wetteifer um die
Anerkennung des Roverepapstes schmückten. Wie
tief steht hier Ghirlandaios Berufung der Jünger,
wo die Haupthandlung erdrückt wird von der
gleichgültigen „Assistenz", gegenüber der glänzenden
Raumkunst Peruginos, und der erschütternden
Dramatik Botticellis!
Der letztgenannte aber zeigt in diesem Raum
zwei völlig verschiedene Seiten seines Wesens:
neben der überaus erregten „Rotte Koran" sieht
man von ihm ein wunderbar zart empfundenes
Werk, das Scenen aus Moses' Leben vereinigt. Hier
ist das einzige Idyllenbild zu finden, das der Florentiner
Monumentalstil aufzuweisen hat, die Scene,
da Moses den Töchtern Iethros begegnet: unter dem
Schatten einer Baumgruppe der alte Ziehbrunnen,
schlanke Mädchen, mit deren Locken der Wind sein
Spiel treibt, eine kraftvolle Männergestalt ihnen
gegenüber, die das Vieh tränkt, all das mit einer
unsagbaren Grazie und Zartheit vorgetragen.
Der jüngste Ausläufer quattrocentistischer Kunst,
Filippino Lippi, begann mit grossen Versprechungen,
als er Masaccios nachgelassenes Werk, die Fresken
der Brancaccikapelle, in einer des erhabenen Vorbilds
nicht unwürdigen Weise, zwar nicht dramatisch
konzentrierend, doch auch nicht episch auflösend
, besonders glücklich im Erfassen einzelner
Persönlichkeiten, vollendete. Aber bald verlor er
die Haltung, und indem er selbständig in bewegten
Scenen starke Effekte versuchte, trat seine
Unfähigkeit gerade hiefür kläglich zu Tage. An
Liebreiz kam er gelegentlich Botticelli nahe, aber
heftige Bewegung wurde ihm sofort zur Karikatur
. Von seinen Werken, die sich aus lauter
übertrieben bewegten, haltlos gestellten Figuren zusammensetzen
, wendet man sich mit dem Gefühl
des Unbehagens, ja Abscheus. Die Kunstentwicklung
eines Jahrhunderts, das mit Masaccio angehoben
hatte, endet mit Filippinos Fresken in Santa Maria
Novella: einen tieferen Sturz findet man nicht leicht
in der gesamten Kunstentwicklung!
Zur Zeit aber, als diese letzten Ausläufer quattrocentistischer
Darstellungsweise geschaffen wurden,
waren die Meister der klassischen Kunst schon längst
am Werk. Doch der Schwerpunkt künstlerischen
Schaffens war verlegt, und in Rom ging die Saat
auf, die in Florenz vorbereitet worden war. Ein
einziger nur hat noch im Cinquecento am Arno
grosse Schöpfungen monumentalen Stiles hervorgebracht
, diese freilich in ihrer Art das höchste,
was dramatische Kunst geben konnte: Andrea del
Sarto in seinen letzten Fresken des Scalzohofes.
Georg Gronau.
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