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Kompositionsweise nicht allein und nicht stets dem
Sinne der Erzählung, sondern auch seiner Neuerungssucht
und einer Hinneigung zum gemein Menschlichen,
zum Alltäglichen. Er füllte die Bühne gern mit
buntem Gewimmel und setzte an die Stelle des oft
gespielten Dramas ein neues Ausstattungsstück.

Dem holländischen Meister war die Bibel
mehr ein Historienbuch als ein Erbauungsbuch.
Mindestens schöpft seine Kunst eher aus dem
anekdotischen Inhalt der biblischen Berichte denn
aus ihrer heiligen Lehre, und seine Fabulierneigung
wendet sich mit Vorliebe zu dem alten Testament,
das sonst nur ausnahmsweise und gewöhnlich nicht
ohne lehrhafte Deutung illustriert wurde. Das weit
Zurückliegende, Fremdartige der erzählten Abenteuer
wird naiv und äusserlich angedeutet durch groteske
Trachten und seltsame Kopfbildüngen.

In den Passionsfolgen galt es, mit seelischer
Anteilnahme die Tradition von innen heraus zu
beleben. Die beiden Passionsfolgen, die wir von
Lucas besitzen, gehören zu seinen schwächsten
Leistungen. In der älteren Folge, der mit runden
Darstellungen, greift der Meister zu dem Reizmittel
der etwas brutalen Betonung des körperlichen
Leidens, in der jüngeren Folge schliesst er sich eng
an Dürer an und fordert eine Vergleichung heraus,
die ihm ungünstig ausfällt.

Einige idyllische Blätter aus der Frühzeit,
besonders mehrere Madonnen, erscheinen beseelt
von müder Schwermut, die sich ein wenig unbeholfen
in der Kopfneigung und im Gesichtsausdruck
äussert. Der zarte Stimmungsreiz schwindet
im weiteren, wird nicht eigentlich ersetzt durch eine
deutlichere und mehr mannigfaltige Ausprägung
seelischer Zustände. Im ganzen ist Lucas eher
Physiognomiker als Psychologe. Eine ganze Galerie
merkwürdiger Männerköpfe mit übermässig steilen
Profillinien, wunderlich vorspringenden Kinnknochen,
besonders geformten Nasen hat er gestaltet. Einige
Blätter, wie die grosse „Anbetung der Könige",
scheinen angelegt zu sein auf die Vorführung von
Charakterköpfen. Gelegentlich trifft die etwas
karikierende Gestaltung ins Herz des Vorwurfs, wie
etwa mit der Darstellung des grillenfängerischen
Königs Saul, einer unvergesslichen Figur, vor dem
ein übermässig derber David die Harfe schlägt.
Gewöhnlich sind die Statisten und Chargenspieler
allein interessant, wahrend die Helden und Träger
der Handlung entweder unedel und selbst unwürdig
oder leer und gleichgültig erscheinen.

Wie Lucas in einer mittleren, bürgerlichen
Lebenssphäre wurzelt, wie er weder einer höfischen
noch der kirchlichen Repräsentation dient, wie er
das Kuriose und Pittoreske sucht, wird er, seiner
ganzen Natur nach, auf das weite, unbestimmt begrenzte
Gebiet der Darstellung gewiesen, das wir
als „Genre" bezeichnen. Ohne Zweifel steht er in
der ersten Reihe der Bahnbrecher des Genre, nicht
sowohl, weil er in mehreren Kupferstichen und selbst
in zwei oder drei Gemälden reine Genredarstellungen
geschaffen hat, wie vielmehr, weil seine gesamte
Darstellung mit Genrezügen und Genremotiven
durchwachsen ist.

Die Formensprache des Meisters bleibt in steter
Wandlung. Im allgemeinen sind die Gestalten in
der Frühzeit hoch und hager, eckig in den Gelenken
mit stumpfen Extremitäten, in der späteren Zeit
eher breit mit schwellenden Formen. Die im Anfang
stelzige Bewegung gewinnt allmählich Fluss.

Lucas starb in jungen Jahren, doch in Hinsicht
auf die Kunst nicht vor der Zeit. Seine späteren
Arbeiten sind nicht mehr in der Fülle wie die
früheren von der Naturbeobachtung genährt. War
schon Dürers Vorbild nicht ungefährlich, so wurde
Marcantons Muster verderblich. Der holländische
Meister, der stets das Abweichende dem Normalen
vorgezogen hatte, der, wenn irgend einer Gabe,
des Schönheitssinnes entbehrte, musste noch ärger
als seine vlämischen Zeitgenossen in die Irre geraten,
als er sich von den südlichen Formenidealen locken
Hess. Merkwürdiges Verhängnis der nordischen
Kunst: derselbe Marcanton, der einst Dürer kopiert
und einem Blatte des Lucas van Leijden ein
Landschaftsmotiv entnommen hatte, den gewiss die
unerreichbare Geschicklichkeit des holländischen
Kupferstechers beunruhigt hatte, blieb schliesslich
Sieger, wenn auch nicht vermöge eigener Kraft,
sondern als Vertreter der nach Norden vordringenden
Grossmacht, der römischen Hochrenaissance.

Den meisten Gemälden, die wir von Lucas van
Leijden besitzen, fehlt die Jahreszahl. Dennoch
vermögen wir die Bilder historisch aneinander zu
reihen, indem wir, den Stil vergleichend, auf die
geschlossene Folge der Kupferstiche blicken und
van Manders Notizen beachten. Gewiss ist manches,
namendich in den Bilderstürmen, zu Grunde gegangen
, unser fragmentarischer Besitz genügt aber, eine
klare Vorstellung von der Malkunst des holländischen
Meisters zu geben, wenn nur alles Falsche sorgsam
ausgeschieden wird. Der Maler tritt nicht mit vorzeitiger
Reife auf den Plan wie der Kupferstecher.
Diejenigen Gemälde, die als die frühesten angesehen
werden müssen, etwa die Schachpartie in der
Berliner Galerie (Bd. III Tf. 76) und die etwas spätere
Enthauptung des Täufers im Brüsseler Privatbesitze,
besonders die Schachpartie, sind in suchender, un-
gleichmässiger Malweise, mit zäher, trüber Farbe
und mit vielfach zeichnendem, punktierendem Pinsel
ausgeführt, entschieden anfängerhaft. 1510 etwa
mag das Berliner Genrebild, 1512 die Brüsseler


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