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Tafel entstanden sein. Die in den folgenden Jahren
ausgeführten Tafeln, wieder heilige Hieronymus in
Berlin, die ebenfalls in der Berliner Galerie bewahrte
thronende Madonna mit Engeln und die Spielpartie
in Wilton House sind mit weit grösserer Gewandtheit
gemalt, in blonder Farbigkeit, leicht und flüssig,
etwas glasig in der Wirkung.
Die Malkunst des Gornelis Engelbrechtsen, der
als des Lucas Meister gilt, kennen wir allenfalls,
zögern jedoch mit der Abgrenzung dessen, was der
Schüler dem Lehrer verdankt. Ist es doch nicht
ausgeschlossen, dass in dem Verhältnisse Lucas
nicht nur der Nehmende, sondern auch der Gebende
war. Gornelis starb erst 1533, in demselben Jahre
wie sein Schüler.
In der Periode zwischen 1517 und 1531 schuf
Lucas eine Reihe von Bildern, die recht verschieden
geartet sind und gewiss keine einheitliche
Entwickelung erkennen lassen. Von 1517 datiert
ist ein kleines Männerportrait im Berliner Privatbesitz
, harmonisch gefärbt und mit entschiedener
Helldunkelwirkung. Anscheinend 1526 entstand
der stattliche Altar, der das jüngste Gericht im
Mittelfelde zeigt, das einzige Werk des Meisters, das
seiner Heimatstadt geblieben ist. Dieser Flügelaltar
ist durchaus nicht so schlecht erhalten, wie gewöhnlich
angegeben wird, hat interessante Einzelheiten
, macht aber als Ganzes keinen günstigen, am
wenigsten einen monumentalen Eindruck. Lucas
schwankt zu dieser Zeit in der Behandlung des
Malwerks. Die Lokalfarbigkeit wird entschieden
unterdrückt. Manchmal scheint es, als ob der
Zeichner die besonderen Aufgaben der Malerei vernachlässige
, denn wieder strebt er fast über seine
Zeit hinaus nach spezifisch malerischen Licht-
effekten. Mehrmals ist die Beleuchtung nüchtern, die
Färbung undurchsichtig, die Behandlung mehr
zeichnend als malend, wie in dem mit besonderer
Sorgfalt ausgeführten Diptychon von 1522 in der
Münchener Pinakothek.
Die, im Kupferstich mit Behagen geübte, gesprächige
Kompositionsweise auch im Gemälde
anzuwenden, fand Lucas Gelegenheit, nämlich in
dem Predigtbilde, das neuerdings für das Amsterdamer
Rijksmuseum erworben wurde, sodann in der Darstellung
des Moses, der Wasser aus dem Felsen
schlägt, und endlich in dem Flügelaltar zu
St. Petersburg, der angeblich 1531 geschaffen wurde.
Das Moses-Bild, eine reiche, etwas wirre Komposition
, auf Leinwand 1527 gemalt, kam unlängst
aus Rom nach Nürnberg in das Germanische Museum.
Landschaft und Figuren sind vonrefflich mit einander
verbunden, der Held hebt sich nicht deutlich heraus
aus der Masse, und die Aktion bleibt ein wenig
unklar. Das letzte uns bekannte Bild des Meisters
ist zugleich in manchem Betracht sein bedeutendstes.
War im allgemeinen der Pinsel seinen Absichten
und Launen nicht so gefügig wie der Grabstichel,
■— am Ende seiner meteorartigen Bahn, als er im
Kupferstiche kaum noch etwas zu versuchen hatte,
spannte er die Kraft noch einmal im Malwerk. Die
Scene der Blindenheilung ist in breiter Gestaltung
über das Mittelfeld und die Flügel des Petersburger
Triptychons gedehnt. In waldiger Gegend, umdrängt
von erregten dichten Volkshaufen, vollzieht Christus
das Wunder der Heilung. Mehr als durch die
äusserliche Phantastik der Frisuren, Trachten, Kopfbedeckungen
wird der Vorgang aus dem Gewöhnlichen
herausgehoben durch die Beleuchtung. Bringt
die Darstellung uns Rembrandts Hundertguldenblatt
ins Gedächtnis, so erscheint das Komponieren mit
grellen Lichtkontrasten gewiss als eine Vorstufe
Rembrandtscher Bestrebungen.
Ob Lucas, der in Hinsicht auf den Kupferstich
gewiss keine Hoffnungen mit sich ins Grab nahm,
als Maler weitergeschritten wäre, wenn der Tod ihn
nicht gehindert hätte, dürfen wir füglich bezweifeln.
Wohl griffen sein Ehrgeiz und sein scharfes Auge
kühn in Weite und Ferne, aber sein Stand war
nicht fest genug, als dass ein voller Erfolg den
Bemühungen hätte zu Teil werden können. Das
holländische Volk musste sich scheinbar erst befreien
und politisch abgrenzen von den romanischen Völkern,
ehe sein Naturalismus in der Kunst harmonisch
und glücklich gestalten konnte. Rembrandts Werk
kann ohne Gewaltsamkeit als die schlichte Erfüllung
vieler Wünsche gedeutet werden, die der Leijdener
Vorfahr hegte. Freilich bleibt, vom Gegensatz der
Zeiten abgesehen, wenn wir die beiden holländischen
Maler vergleichend messen, das deutliche Gefühl eines
starken Kontrastes übrig. Als geistige Persönlichkeit
mit seiner Auffassung und Empfindung scheint Lucas
tief unter Rembrandt zu stehen. Sein Auge betastete
die Realität, seine geschickte Hand ahmte sie nach,
während Rembrandts seelische Anteilnahme die Erscheinung
nachzuschaffen immer fähiger wurde.
Max J. Friedländer.
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