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seine breite, die Illusion steigernde Malweise die
Feinpinsler zurückstiess. Alles, was man nicht
„sehen" konnte, was gefühlt oder gedacht an Gefühl
und Denken des Beschauers sich hätte wenden
können, war ihm verdächtig; ein starker, rein malerischer
Instinkt, der ihm Auge und Hand leitete,
lebte in diesem kräftigen Bauernsohn des Gebirges.
Nach Paris versetzt, wo er sich seinen Boden erobern
musste, blieb (wie später bei Manet) das
Oppositionelle an ihm hängen, durch die theoretische
Formulierung seines litterarischen Schildknappen
Castagnary immerfort gereizt und gesteigert. Dieser
polemische Charakter hat vielen grossen Begabungen
des Jahrhunderts geschadet und sie zu Uebertrei-
bungen geführt, wie denn auch Courbet von seiner
Oppositionsgewohnheit und -lust schliesslich sogar
zur Teilnahme an der Commune gelangte. Was von
reiner Stimmung und ungetrübter Anlage in ihm war,
kam fern von Paris zu Wort, wenn er die lauschige
Stille der Jurathäler mit ihren Felsen, Wassern und
Rehen malte oder wenn er den grossen und befreienden
Atem des Meeres spürte. Dann schwenkte er den
Hut vor Lust und vergass den Staub und die Debatten
der Boulevards und Ateliers; dann wirkt
Courbet poetisch; mochte er die Litteratur hassen —,
es war Poesie in ihm, und sie war sein besseres
Teil. Eine glückliche Ausgleichung kam nicht zustande
, und dieser Mangel lässt das Urteil eines
Malerkollegen als berechtigt erscheinen: Courbet's
Malerei sei gesund, kräftig und erstaunlich; aber es
fehle ihr an gesundem Menschenverstand.
Courbet nimmt einen grossen Platz in Leibl's
künstlerischem Werden ein. Leibi stak noch etwas
im „altmeisterlichen" Ton, als er sich von der
trotzigen Selbständigkeit jenes Alpensohnes wahlverwandt
berührt fühlte. Kurz vor dem Krieg ging
er nach Paris, und die Richtung, die er hier ergriff,
bestimmte seine Kunst auf Jahre hinaus. Die
deutsche Malerei war immer bis dahin reich an
Naturen gewesen, die geistreich und subjektiv
waren und deren intellektueller Hochmut es mit
den Thatsachen der Wirklichkeit etwas leicht nahm;
die Ausbildung ihrer Sinne war ungenügend und
ihre Technik war nicht aus dem Bedürfnis der
Sache erwachsen, sondern bestenfalls aus zweiter
Hand, von der alten Kunst übernommen. Wenn
jetzt Jüngere auftraten, die bewusst auf Geist verzichteten
und die ruhige Objektivität der Natur
suchten, so bekamen sie wohl zu hören, es sei
leicht, einen Geist zu ignorieren, den man nicht
habe. Aber dennoch war es einmal notwendig,
dass ruhige und sichere Maleraugen und -hände
kamen, die weiter von keinem Ehrgeiz gequält
wurden, als gute Handwerker zu sein und an Stoffen,
die nicht aufregend und anspruchsvoll sind, ihr
Können als bescheidene Schüler der Naturwirklichkeit
versuchten. Leibi malte also in Courbets Art
gewöhnliche Gegenstände, Köpfe, Gestalten, breit,
mächtig, eindrucksvoll. Es sind schöne Stücke, aber
es sind nicht, was man jetzt Leibis nennt. Ob ihm
klar wurde, dass in dem Courbet'schen Vortrag
etwas Selbstbewusstes und Herausforderndes, fast
Reklamehaftes, mit einem Wort: etwas, was nicht
zur Sache gehörte, lag, oder ob sich von selbst
die ehrliche deutsche, unpersönliche Sachlichkeit in
ihm regte, es geschah ein Wandel, als Leibi fern
von Paris und fern von deutschen Kunststätten in
der Einsamkeit lebte und an dieser Abgeschiedenheit
festhielt.
Unser neues Kunstschaffen in Deutschland ist
auffallend unruhig, bestimmbar, wechselnd. Selten,
dass man einem Zug begegnet, der erkennen lässt,
es sei deutscher Boden, auf dem diese Kunst erwächst
; selten, dass man Verwandtschaft mit unseren
alten Meistern herausspürt. Was aber bei Leibi an
die Oberfläche trat, war, als sei ein längst abgerissener
Faden wiedergefunden und aufgenommen
worden. Nicht als sei da eine der bewussten Anlehnungen
und Nachahmungen im Spiel, sondern
ganz isoliert und bis jetzt auch ohne weitere Folge
wie eine wundersame Hebung tiefverborgenen Gesteins
trat da ein Bodenwüchsiges und Rassemässiges
zu Tage. Während Naturalismus und Impressionismus
, Patriotismus und Symbolismus, Dekoration,
Plakat und Japanismus an uns vorüberzogen, und
jede von diesen Moden an den grossen Kunstbörsen
ihren Eindruck machte und etwas hängen Hess,
blieb Leibi, mit Willen einsiedlerisch, auf dem Weg,
den er nun eingeschlagen, ringend mit den Geistern
alter deutscher Kunst. Hatte ein anderer der deutschen
Malerei zugerufen, sie müsse auf grenzenlosem
Schutt bei Holbein von neuem anfangen, so
folgte Leibi instinktiv der nämlichen Parole, und
er that es so wörtlich, dass er von den zwei grossen
Richtungen der alten Kunst, der auf Innerlichkeit,
Phantasie und Gefühl, und jener anderen auf peinliches
Erfassen der äusseren Wirklichkeit die letztgenannte
, die Holbeinsche Seite erwählte. Es ist
jener ergreifende Zug, der von den Brüdern Eyck
an die nordische Kunst durchdringt, als seien nicht
nur menschliche Gestalten im Besitz einer göttlichen
Seele, sondern als spreche jenes Geistige auch aus
den anscheinend toten Dingen, aus Stoffen und Gewändern
, Möbeln und Geräten, aus Schmuck und
Steinen, und als verbinde ein sympathetisches
Fühlen alle Geschöpfe, die unbeweglichen und die
mit Bewegung begabten, den Stein, die Pflanze, das
Tier und den Menschen. Daher denn der Künstler
mit gleicher Andacht den Eigenschaften all' dieser
Dinge nachzutrachten und sie auszudrücken suchen
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