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Worte für die „Nachtreter der Antike". Eher war
es die andauernde Beschäftigung mit den alten
Schriftstellern und mit Dante, auf die er sich, um
die versäumte Schulbildung nachzuholen, mit Feuereifer
geworfen hatte. Gewiss finden wir in allen
diesen Werken hie und da die Klaue des Löwen,
aber wirklich zu erwärmen vermögen sie uns ebensowenig
wie die eines Pradier. Und wie frostig
wirken erst seine religiösen Arbeiten, die Taufe
Christi in der Madeleine und die Kreuzigung in
Saint Vincent de Paul in Paris! Nein, den echten
Rüde dürfen wir nicht hier suchen. Glücklicherweise
wurde diese eine Seele, die in ihm wohnte,
durch eine andere ergänzt, die die Natur inbrünstig
verehrte. Da, wo er sich dieser ohne Rückhalt hingab
, entstanden die Werke, in denen er dauernd
fortleben wird, sein Riesenrelief vom Triumphbogen
und seine unvergleichlich lebensvollen Standbilder.
Die Ueberlieferung, dass Rüde ursprünglich den
ganzen Are de TEtoile hätte ausschmücken sollen, ist
jetzt widerlegt worden. Das Ministerium hatte von
vornherein sechs Künstler damit beauftragt. Allerdings
mag Thiers dem Künstler einmal vertraulich
gesagt haben, dass er ihn lieber allein alles ausführen
sähe, und so die Veranlassung zu den vier Skizzen
gewesen sein, die jetzt im Louvre aufbewahrt werden.
Sie sind durchaus nicht einwandsfrei, allein wer sagt
uns, dass Rüde die anderen drei nicht ebenso umgestaltet
und vervollkommnet hätte wie die eine, die
er verwirklichen durfte? Wieviel einheitlicher und
grossartiger wäre das Werk dann geworden! Denn
um wieviel überragt „der Auszug der Freiwilligen"
die Werke der Mitarbeiter! Seit den Tagen Pugets,
des von Rüde vielbewunderten Meisters, war kein
Werk von so ungestümer, fortreissender, unwiderstehlicher
Bewegung geschaffen worden. Wir sehen
sechs Männer vor uns, aber wer denkt vor dem Relief
daran, sie zu zählen? Alle, alle kamen, alle folgen
dem dröhnenden, durchdringenden Rufe der verkörperten
Marseillaise. Aux armes, citoyens! Der
Depart ist desMeisters berühmtestes und volkstümlichstes
Werk. Und trotzdem, ich kann mir nicht helfen,
ist etwas Fremdes darin. Ich glaube, nur ein Franzose
kann vor ihm zu einem vollkommenen Genuss
gelangen. Stört uns der allzu weit geöffnete Mund
der Kampfesgöttin, für die Madame Rüde als Modell
„immer lauter" schreien musste, oder ihre allzusehr
gespreizten Beine: finden wir in der Haltung des
Haupthelden eine Spur von Theatralik? Genug,
irgend etwas erscheint uns zuviel. Natürlich sind
wir himmelweit entfernt von der Kritik seines Rivalen
David d'Angers, der die „Grimassen schneidende
Leidenschaft lächerlich" und das Gesicht der
Kriegsgöttin „scheusslich" fand. Auch über das
„widersinnige" halb römische, halb gallische Kostüm
— wieder ein Zugeständnis an den Klassizismus!
setzen wir uns heute hinweg, wenn wir auch de
Fourcaud zugeben müssen,, dass der Szene dadurch
das Spezifisch-Französische genommen worden ist und
sie eher an die Thermopylen als an die Ereignisse
von 1792 gemahnt.
Von den Standbildern treten, wenn wir von dem
wenig besuchten General Bertrand in Chäteauroux
an der Bahn nach Limoges absehen, besonders vier
hervor: der Godefroy Cavaignac des Pariser Montmartrefriedhofes
, der erwachende Napoleon von Saint-
Fixin bei Dijon, der Geometer Gaspard Monge in
Beaune und der Marschall Ney in Paris. Sie alle
stammen aus den Jahren 1847—53-
Das Grabmal Cavaignacs zeigt uns den Meister
auf seiner vollen Höhe; es ist, wenn nicht sein
schönstes, so sicher sein schlichtestes und ergreifendstes
Werk. Auf einem mächtigen Marmorblock,
dessen Vorderseite in grossen Lettern die einfache
Inschrift „A Godefroy Cavaignac" zeigt, liegt der
Tote lang ausgestreckt in seinem Leichentuch. Nur
der Kopf, ein Teil der Brust und die rechte Hand
sind frei. Die Feder, auf der diese ruht, und der
daneben liegende Degen verkünden das Lebenswerk
des unbescholtenen Republikaners, der als Publizist
wie als Krieger unerschrocken für die Freiheit gekämpft
hat. Alle Allegorie, alle Künstelei, alle
akademischen Reminiscenzen sind verschwunden,
die Statue ist einfach, kraftvoll und wahr wie die
wundervollen „gisants" der Königsgräber in Saint-
Denis. Von dem Napoleon, für den Rüde einstmals
als der „Phidias eines zweiten Alexander" (!) gepriesen
wurde, lässt sich dies nicht sagen.
Dieses Denkmal war vom Hauptmann Noisot,
einem Veteranen der grossen Armee und des
„heiligen Bataillons" der Insel Elba, für seinen Park
in Saint-Fixin bei Dijon bestellt worden. Auf dem
Felsen von Sankt Helena, die Stirn mit dem Lorbeer
geschmückt, ruht der Kaiser. Sein Weltreich ist
zertrümmert, mit gebrochenen Flügeln liegt der
Adler, dessen Sturz in der Luft eine donnernde
Furche zog, wie Viktor Hugo singt, zu seinen
Füssen, angekettet ist der Degen Friedrichs des
Grossen, den er trug. Aber er selbst, der Held,
erwacht aus dem Schlummer für die Nachwelt,
noch sehen seine Augen nicht das äussere Licht,
aber das innere Licht erleuchtet seine Stirne. Ist
das plastisch überhaupt darstellbar, musste der
Künstler nicht an dieser sonderbaren Verschmelzung
von Allegorie und Wirklichkeit scheitern? Viele
meinen, er habe die Schwierigkeiten siegreich überwunden
, ich muss denen beipflichten, die das Werk
für im Grunde verfehlt halten. In der wundervollen
Umgebung bleibt das Bronzeoriginal allerdings
nicht wirkungslos, aber es ist eben diese Opern-
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