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Zwecke mit dem Gelöbnis etwaiger Rückkehr bei
ergebnislosen Verhandlungen aus der Bleikammer
freigegeben wurde. Das Bild ist leider nicht erhalten;
schon am Ende des Jahrh. musste Luigi Vivarini
das durch die Meeresluft corrodierte Fresko durch
eine tela ersetzen, und auch diese fiel dem alles verheerenden
Brand von 1577 zum Opfer. Aber wir
haben — wie Wickhoff gezeigt — zwei Möglichkeiten,
uns die Scene doch noch einigermassen vorzustellen.
Der Codex Valardi im Louvre, der über 150 Zeichnungen
von Vittores Hand enthält, zeigt auf Blatt
230 eine kleine Skizze, wie ein in grosser Ratsversammlung
thronender Fürst einen Boten empfängt;
die Anordnung dieser Scene ähnelt überraschend
dem um 1530 gemalten Bild von Paris Bordone:
der Fischer vor dem Dogen, das sicher auf
Luigis und damit schliesslich auch auf Vittores
Komposition zurückgeht. Ein letztes Vorbild aber,
auch für Vittore, der auf der Reise von Verona nach
Venedig Padua passieren musste, findet sich in der
Felixkapelle des Santo dieser Stadt, wo Altichiero
eine ganz ähnliche, wenn auch noch primitivere
Ratssitzung gemalt hat. Altichiero ist der eigentliche
Lehrer Vittores, den er auch in seinen späteren
Werken nicht verleugnet; er verdankt ihm das
höfische Kolorit seiner Darstellungen, die Verwendung
der Architektur als füllender Kulisse, die intime
Ausstattung der Wohnräume. Daneben wird für
Vittore auch die entwickeltere, freilich mehr auf das
flach Dekorative hinarbeitende Kunst seines Mitarbeiters
Gentile bedeutsam, ja wenn man will, verhängnisvoll
. Denn dessen farbenfrohe Palette feierte
vor allem den bunten Schein des festlichen Lebens,
ohne sich bei den ernsteren Fragen der Raumkunst
und der Körperlichkeit aufzuhalten.
Zwei Einzelheiten werden aus dem venezianischen
Fresko erwähnt, die noch einen weiteren Fingerzeig
geben. Es enthielt u. a. das Portrait des
späteren Dogen Andrea Verdramin (f 1476), der
damals, erst 27jährig, für den schönsten Mann
Venedigs galt. Hier meldet sich also das gleichfalls
von Altichiero ererbte physiognomische Interesse.
Ferner lieferte Vittore hier einen ersten derben
Streich im bizarren Genre. Ein Priester „verzerrte
den Mund mit den Fingern derart, dass nicht
nur die Kinder herzlich lachen mussten, sondern die
ganze Gesellschaft angesteckt wurde."
Als Gentile, dem Ruf des Papstes folgend,
nach der Vollendung seines „Seesturmes" Venedig
verliess und nach Rom übersiedelte, empfahl er den
Genossen seinem Gönner Filippo Maria Visconti,
der ihn den Festsaal des paveser Schlosses mit
Jagdscenen schmücken hiess Der Besuch des byzantinischen
Kaisers stand bevor, und weder die
Griselda-Novelle der mantuaner Trecentisten noch
Gentiles vor 1422 gemalte Fresken genügten dem
prachtliebenden Herrn. Hier muss Vittore recht
eigentlich in seinem Element gewesen sein. Es gab
für ihn nichts Schöneres als in den Zwinger herabzusteigen
und die Prachtexemplare des herzoglichen
Tierparkes — der im 15. Jahrhundert an den Höfen
ebenso unerlässlich war wie im 18. die Porzellanfabrik
— in den artigsten Situationen abzukonterfeien.
Leider ist auch dieser Gyklus nicht erhalten.
1431 erfolgt dann auch für Vittore der entscheidende
Ruf nach Rom. Eugen IV. wünschte
die unter seinem Vorgänger Martin V. von Gentile
unvollendet gelassenen Fresken des Laterans, in
denen die Täuferlegende erzählt war, fertig gestellt
zu sehen. Es war dringend wünschenswert
, dass die Wände der zweiten Hauptkirche
der ewigen Stadt mindestens ebenso farbig
strahlten wie in Florenz jede kleine Kapelle. Die
Römer müssen von Vittores Arbeit entzückt gewesen
sein. Das elogium des Leonardo Dati sagte mit
Rücksicht auf diese Arbeit: Pisanum ad sidera laudo,
etiam ut Prometha vincat! Der Papst stellte ihm
am Schluss zum Dank einen Freibrief durch ganz
Italien aus, in dem er ihn „pictor familiaris" nennt.
Das Hauptbild der Absis: Papst Martin umgeben von
10 Kardinälen, wrar von Gentile gemalt worden; die
Täuferlegende mag wohl ganz auf Rechnung Vittores
zu setzen sein. Vielleicht giebt uns der Schmuck
des Baptisteriums in Urbino, das 1415 — also nur
15 Jahre früher — von den Brüdern Salimbene aus
Sanseverino ausgemalt wurde, eine ungefähre Vorstellung
von Vittores Arbeit. Jedenfalls wird hier
wie dort der tragische Stoff im heiteren Stil der
novellistischen Zeitchronik vorgetragen worden sein,
ähnlich wie auch die scenischen rappresentazioni
sich mit Vorliebe den Tanz der Salome in diesem
Sinne aneigneten. Von Donatellos erschütternder
Energie, mit der dieser die Tanzscene am Taufbrunnen
in Siena aufgefasst hat, war in den Fresken
des Laterans nichts zu spüren.
Auf der Rückreise von Rom nach Verona
kehrte Vittore an demjenigen Hofe ein, der von
da an eine Art Standquartier für den unruhigen
Wandervogel bildete: Ferrara. Nicolo III war trotz
aller Brutalität ein Freund der lettere ed arti; er
hatte den berühmten Arzt und Historiker Michele
Savonarola aus Padua, den Griechen Giovanni
Maurispa und den Dichter Guarino aus Verona als
Erzieher für seine Söhne Meliaduse und Lionello
an seinen Hof beschieden. Wenn Vittore sich hier
ebenfalls festhalten Hess — er schenkte schon 1435
dem jüngeren Lionello zur Hochzeit mit Margherita
Gonzaga ein Porträt Caesars —, so sollte er es nicht
bereuen. Denn 1438 versammelten sich im Schloss
der Este die Boten der morgenländischen und
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