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wurde. Denn die Befreiung der hl. Margarethe durch
den Ritter Georg, die Vittore hoch an der Eingangs-
wandderpellegrinischenKapelle in Sa. Anastasia gemalt
hat, ist im Quattrocento der klassische Text zu
einem Hochzeitscarmen, das namentlich auf die
Brauttruhen immer wieder gemalt wurde. Eine
Verwebung der christlichen Legende mit der novellistischeren
Fabel von Perseus und Andromeda
ergab genug Anspielungen auf das junge Paar.
Leider ist nur die rechte Seite des grossen Stirnbildes
erhalten; aber schon diese erzählt uns einen
ganzen Ritterroman. Eine reich mit Zinnen, Türmen,
Loggien und Kuppeln gekrönte Residenz — natürlich
Verona selbst, wie es der stolze Sohn der Etschstadt
erschaut — liegt auf dem Hügel. Die That ist
schon vollbracht, das Untier verendet in den Wellen,
der Retter steigt eben von seinem Ross, während
die veroneser Ritter, Pferde und Hunde noch wie
gebannt auf den Todeskampf des Ungeheuers stieren.
Neben Georgs mächtigem Schimmel steht die schöne
Margarethe (vgl. Bd. V. S. 7), im prächtigen Schmuck
der festlich gekleideten Braut, mit hoher Frisur, im
Hermelin und reichen schleppenden Brokatkleid. Der
nächste Augenblick wird Retter und Gerettete vereinigen
.
Wie sorgsam das Bild vorbereitet war, ersehen
wir aus den 18 Zeichnungen des Codex Valardi, die
sich darauf beziehen. Namentlich der Kopf der
fürstlichen Braut kommt immer wieder vor. Und
mit welcher Liebe und Sorgfalt sind die Tiere, vor
allem die Pferde mit der breiten Kruppe und dem
schweren, schellenden Zaumzeug, oder die ängstlich
spähende Dogge wiedergegeben! Grosse ethische
Gedanken darf man nicht bei Vittore suchen, wohl
aber die ganze Fülle der reich und prächtig
schillernden Aussenwelt. Auch bei diesem Bild hat
Altichiero — und vielleicht auch Antonio Veneziano —
Pate gestanden; aber in der Wirklichkeit der Einzeldinge
lässt Vittore seine Lehrer weit hinter sich.
Die Freude am Tierleben verrät sich auch sattsam
in dem kleinen Bild des hl. Eustachius, der dem mit dem
Kruzifix gekrönten Hirsch begegnet (Mus. III. Tf. 124).
Das Bild galt bei Lady Ashburnam als Dürer, später
als Fouquet, wurde aber dann von Bode für Vittore
reklamiert; es hängt heute in der National Gallery.
Auch da ist für die Eroberung der Tiefe, die gerade
bei dem Waldgehege nahegelegen hätte, wenig gewonnen
; dafür wird man aber von den graziösen
Gebilden der äsenden und schnuppernden Hirsche,
der fliehenden Reiher, der Hundemeute und des
eben noch entschlüpfenden Häschens entschädigt.
Endlich darf auch das viel genannte, köstlich
erhaltene und ungemein inhaltsreiche Tondo der
Berliner Galerie hier nicht übergangen werden, da
es, selbst wenn es nicht Vittores eigenhändige Arbeit
wäre, mit seinem Schaffen aufs intimste zusammenhängt
. Respekt vor dem Lehrer, der solche Schüler
zu erziehen weiss! DasBild scheint schon geographisch
sicher auf Oberitalien hinzuweisen — man hat mit
Recht den Gardasee hier porträtiert gesehen — und
enthält, wenn man so sagen darf, das ganze Inventar
von Vittores Kunstweise. Wäre es von dem Meister
selbst, so hätte er hier etwas erreicht, was ihm
bisher nie gelungen war: die Entwickelung eines
freien tiefen Schauplatzes, auf dessen Bühne sich die
Unzahl seiner Trabanten tüchtig tummeln können.
Auf keinen Fall besteht Morellis Taufe auf Stefano
da Zevio zurecht; wahrscheinlich hat ein nach
Florenz gewanderter Schüler hier gesucht, seinem
Lehrer nahezukommen oder ihn zu überbieten.
Der Platz reicht nicht, um über Vittores Aufenthalt
am Hof in Rimini und Neapel noch zu berichten
oder die stammelnden Lobhymnen der Zeitgenossen
zu erwähnen, die unsern Künstler über Zeuxis
und Apelles, ja über Phidias und Lysipp stellen.
Was Hesse sich noch von den 31 Medaillen
erzählen, mit denen Vittore der Wiedererwecker
der Medaillenkunst für die ganze Renaissance geworden
ist! Vor allem aber: wie beredt erzählt
er uns selbst von seinen geheimsten Plänen und
Wünschen in der zahllosen Folge von Handzeichnungen
, die wir — nicht nur im Kodex Valardi
— von ihm besitzen, deren Feinheit bisweilen geradezu
an japanische Blätter erinnert! Als er 1451 starb,
war seine Kunst keineswegs erschöpft. Die späte
Medaille auf Alphons V. von Neapel aus dem Jahre
1449 gehört zu seinen schönsten. Die Liebe zu der
Medaille scheint ihn erst während der letzten 12
Jahre seines Lebens, dann aber mit ganzer Leidenschaft
ergriffen zu haben. Hier zeigt er sich als
ebenso scharf beobachtender Physiognomiker wie
als monumentaler Dichter auf dem Revers. Die
humanistischen Lebens- und Kraftsymbole sind hier
zu hoher Ausdrucksfähigkeit gesteigert; alles scheint
auf den letzten, prägnantesten Ausdruck gebracht.
Als Vittore starb, war das, was er als Neues
erobert hatte, im gewissen Sinne schon Gemeingut
der Künstler am Arno. Aber nie hat doch ein Maler
mit so herzlicher Teilnahme, mit so frischer Beobachtung
den festlichen Tag schildern können, wie
ihn der Liebling der Este und Gonzaga täglich erleben
durfte und daher malen kennte.
Paul Schubring
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