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Pierino da Vinci. Madonnenrelief.
Marmor. Florenz, Museo Nazionalc.
eine Zeitlang unter Raffaels Leitung zu arbeiten,
die Marmorstatue über Raffaels Grab im Pantheon,
eine unbedeutende Arbeit, die völlig kalt lässt. Die
Gruppe des Francesco Sangallo in Orsanmichele zu
Florenz hat neben ähnlichen Fehlern noch etwas Brutales
in derErscheinung. Gefälliger sind dieMadonnen
von PietroTorrigiano, einem der italienischen Künstler,
die damals nach Art der Schweizer Landsknechte
von Land zu Land zogen und gelegentlich das
Schwert mit dem Meissel vertauschten. In Pierino
da Vincis Madonnenrelief, interessant durch seine
malerische flache Behandlung, ist das Ganze schon
eine absichtliche Schaustellung von Formen und
Stellungen; das nackte schlafende Christkind erscheint
wie der Leichnam eines Erwachsenen.
Unter Andreas Schülern hat nur Jacopo
Sansovino seinen Madonnen eine gewisse Grösse
zu geben gewusst, indem er Donatellos Motive sich
aneignete und sie frei in den Stil des Cinquecento
übersetzte. Die Mehrzahl derselben sind uns nur in
Stucknachbildungen erhalten, die durch ihre reiche
Bemalung und Einrahmung einen sehr stattlichen
Eindruck machen. Die Gruppe der Madonna mit dem
kleinen Johannes im Innern der Loggietta am Markusturme
ist in der Anordnung geschickt und anmutig.
Freilich empfindet man diese Grösse dadurch als gesucht
und vielfach unwahr, ein Eindruck, der durch
die Kolossalität der Formen nur noch verstärkt wird.
Alle diese Künstler sind in grösserem oder
geringerem Masse abhängig von dem einzigen, der
in dieser Zeit auch das Madonnenbild in ganz
eigener Weise, ganz in seiner Weise, gestaltet, von
Michelangelo. In jungen Jahren scheint ihn das
Motiv angezogen zu haben; ausser zwei Gemälden
besitzen wir das bekannte frühe Flachrelief der
„Madonna an der Treppe", die beiden Rundreliefs
im Museo Nazionale zu Florenz und in der Londoner
Academy, sowie die Gruppe in der Cathedrale zu
Brügge; sämtlich in Marmor. Diesen steht aus späterer
Zeit nur die eine unfertige Gruppe in der Cappella
Medici in San Lorenzo zu Florenz gegenüber, die
freilich unter den plastischen Arbeiten allein den
Künstler in seiner vollen Eigentümlichkeit zeigt. In
der Madonna an der Treppe lehnt sich Michelangelo
noch an ein in Florenz beliebtesMotiv an, das auf Dona-
tello zurückgeht; und doch, wie verschieden von allen
vorausgehenden Künstlern ist er schon in dieser Arbeit
, die er im Alter von etwa siebzehn Jahren ausführte
. Da ist keine Spur mehr von irgend welcher
genrehaften Beziehung von Mutter zu Kind oder gar
von diesen zum Beschauer; kein Blick, keine liebliche
Form oder gefällige Bewegung, keine zierliche
Einzelheit, mit der der Künstler sich einzuschmeicheln
suchte. Rein künstlerische Probleme und nur die
höchsten sind es, die Michelangelo beschäftigen und
die er in stets neuer Form zu lösen weiss, Probleme,
die er selbst zum Teil erst in die Kunst eingeführt
hat. „Es fehlte vielleicht nicht viel", so urteilt
Jakob Burckhardt über die Madonna der Mediceer-
kapelle, „so wäre sie die einzig treffliche ganz frei
sitzende Madonna geworden, indem fast alle andern
nur auf den Anblick von vorn berechnet sind". Aber
die Darstellung als solche hat mit allen diesen Mitteln
nicht gewonnen; an Maria und an das Christkind wird
man kaum in einer dieser Kompositionen erinnert,
kaum an Mutter und Kind: so gleichgiltig stehen
sie neben einander, so wenig sind sie zu einander
in Beziehung gesetzt. Einer Madonnendarstellung,
die auf diesen Namen noch volles Anrecht hätte,
begegnen wir hinfort in der italienischen Plastik
nicht mehr. Wilhelm Bode.
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