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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_08/0044
grössten gelten, sind solche, die in allen ihren
Werken ein eigenartig individuelles Gefühl sprechen
lassen, die, deren Werke auch ein Nichtfachmann
leicht überall wiedererkennt. Je geringer der Meister
im allgemeinen geschätzt wird, desto schwerer
werden wir es finden, seine Arbeiten von denen
anderer zu trennen.

Wir suchen und preisen das Subjektive in der
Kunst, — es ist uns aber nicht in allen Fällen
gleich leicht, dieses Subjektive aus den Werken
heraus zu empfinden, gerade wie auch der eine
Künstler es sich leichter macht als der andere, den
Ich-Stempel seinen Werken aufzudrücken. Die
Hünengestalt eines Michelangelo Buonarotti muss
wohl auf jeden wirken, dieweil das Wesen Giam-
bellinis wenigeren sich erschliesst. Jemand, der
der Natur so rücksichtslos Gewalt anthut wie Genelli,
kann dem Werk leichter einen persönlichen
Charakter verleihen, als jener, der, wie Feuerbach,
die Natur nur mit einem vornehmen Farbenstrahl
verklärt. Im allgemeinen laufen wir bei der gegenwärtigen
Vorliebe für den starken Ausdruck der
Persönlichkeit im Kunstwerk die Gefahr, über die
heftig sich aussprechenden Naturen jene zu vergessen
, die zwar ihr eigenes Ich ebenso innig mit
ihrer Schöpfung verweben, deren eigenes Ich aber
selbst zurückhaltender Gesinnung ist.

Nehmen wir den Fall Claude Gelee.

Der ziemlich verbürgten Ueberlieferung nach
war er ein wenig begabtes Kind, das schwer lernte,
mit dem infolgedessen nicht viel anzufangen war,
und der zu einem Pastetenbäcker in die Lehre gesteckt
wurde. In dieser Eigenschaft gelangte er
nach Italien, wurde von seinen Verwandten im Stich
gelassen, geriet in Not und kam endlich als einfacher
Hausdiener zu einem Maler. Hier wurde er
nacheinander Farbenreiber und Ateliergehilfe, erwarb
sich langsam die technischen Malkenntnisse
und konnte sich spät erst selbst als Maler etablieren.
Was er bemeistert hat, blieb wenig: im Zeichnen
war er stets schwach gewesen, so schwach, dass
er Menschen, ja Tiere, fast immer von anderen
in seine Bilder malen liess. Er selbst malte so
schwerfällig und langsam, dass die Arbeit mehrerer
Tage das Bild kaum merklich fortbrachte. Aber
früh da es noch dunkel war, ging er hinaus auf die
Felder und konnte stundenlang die Natur in einer
ihrer Erscheinungen anschauen, blieb den halben
Tag traumhaft befangen vor einer unwandelbaren
Landschaft sitzen, verfolgte regungslos staunend
Naturereignisse, wie z. B. den Untergang der Sonne,
während der ganzen, langen Dauer ihres Fortschrittes
.

Aeussere Geschicke haben ihn wenig beeinflusst.
Als eine glückliche Konjunktur seinen Ruhm erglänzen
liess, änderte das am Menschen wenig. Mit
Ausnahme zweier Jahre lebte er ruhig in Rom fort.
In diesen zwei Jahren besuchte er die Heimat und
erhielt einen bedeutenden ehrenden Auftrag zur
Ausführung. Als er aber Zeuge eines lebensgefährlichen
Sturzes wurde, den ein Maler von seinem
Gerüste machte, erschütterte dies sein Gemüt so,
dass er Pläne, Auftrag, Werk, alles aufgab und in
seine Ruhe nach Rom zurückkehrte. Er verheiratete
sich nicht; seine Habe hinterliess er zwei Neffen,
die, wie alle sonstige Bekannten, seiner Güte und
Milde voll waren, so sehr, dass sie, um Claudes
Gedächtnis ehrwürdiger zu gestalten, wohl den
frommen Betrug übten, die Kenntnis von seiner
Jugendzeit zu verschleiern. Bis zuletzt war er einfach
geblieben: andrer Leute Namen konnte er gar-
nicht, seinen eigenen kaum zweimal hintereinander
richtig schreiben, in seinem Testament selbst hat er
ihn verbessern müssen.

Wenden wir uns nun seiner Kunst zu, — da
erkennen wir überall Zeichen, die auf einen dement-
sprechenden Charakter deuten.

Dem Sturm, der Aufregung, dem Streit in der
Natur geht er aus dem Wege; sein Gemüt lebt nur
im Frieden auf. Wir haben keine stark bewegten
Bilder von Claude, nur ruhige, wie wir erwarten,
dass ein so milder Mensch sie vorzieht. Sein Vortrag
ist völlig uninteressant: nie merken wir, dass
er sich ernstlich mit dem Wie der Darstellung abgeplagt
habe. Er sah die Erscheinung vor sich,
das allein fesselte ihn; nie vertieft er sich in die
Mittel, nie denkt er daran, dass man ihnen auch
selbständigen Reiz verleihen kann. Er sucht sie
möglichst zu verstecken, versucht nur zu faksimilieren.

In gleicher Weise spiegelt sich diese geistige
Genügsamkeit in seiner Hinneigung zum Ausser-
gewöhnlichen wieder. Er, als Landschafter, liebt
nicht eigentlich die Natur, im Gegenteil, nur das
Uebernatürliche. Sie, die Natur, ist ihm keine
Freundin, sondern eine unnahbare Zauberin, die
Wunder wirkt. Nie sucht er sie zu belauschen, er
betet sie nur an. Er macht nicht den Versuch in
ihr Heiligtum zu dringen und im einzelnen ihre Erscheinung
verstehen zu lernen. Aber wenn sie in
besonderer Pracht sich ihm offenbart, wenn sie ihr
Alltagsaussehen in einen festlichen Schleier verhüllt,
sinkt er vor ihr nieder, und von diesen verzückten
Augenblicken sprechen seine Bilder.

Also reizt es ihn nicht das Feld, den Wald,
das Laub, die Gräser zu geben wie sie sind, — bei
ihm sind das alles nur schwarze Schemen gegen
einen hellen Hintergrund. Aber mit etwas von dem
Gefühl des Bauern, auf den die Ueberraschungen der
Kultur Eindruck gemacht haben, erzählt er, zurückgekommen
, uns von der Pracht antiker Baukunst.


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