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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_08/0048
ten Pomp der Renaissance-Allegorieen mit ihren
schönen Frauen und weinenden Putten auf dem
Grabe wieder aufrichten? Sie waren auch in den
Zeiten ihrer ersten Erfindung kühl genug, wo nicht
etwa ein Michelangelo ihnen die Glut seines persönlichen
Lebens einhauchte. Hier dürften viele selbst
den hügellosen Rasen der Trappistengräber so äusser-
lich hohlem Prunk vorziehen.

Am fremdesten aber muten unsere nordische
Empfindung doch die pomphaften Marmorgrabmäler
an, welche die italienischen Cimiteri Monumentali
füllen. Schauspielerisches Pathos, Süsslichkeit, aufdringliche
Schaustellung modischen Kleiderwesens,
kurz hohlster menschlicher Eitelkeiten machen für uns
diese geräuschvolle Gräberkunst unleidlich. Nicht die
trauernden Ehemänner und interessanten jungen
Wittwen, Salondamen und Kusshände zuwerfenden
geputzten Kinder wollen wir am Grabe sehen, sondern
die Trauer, die bei dem Toten wohnt, die Gesinnung,
die sich über das Einzelleben und die einengenden
Glaubensformen hinaus auf das Allgemeinmenschliche
und Ewige richtet. .

Diese und ähnliche Gedanken werden Vielen
gekommen sein, als sie auf der Pariser Weltausstellung
von 1900 in dem Lichthof des Grossen Kunstpalastes
vor dem Abguss von Bartholome^ grossem
Totenmal standen und sich nun auf einmal inmitten des
Gewirres marktschreierisch durcheinander lärmender
Bildwerke eine tiefe Stille aufthat, wie sie nur das
Echte und Grosse um sich breitet. Jeder fühlte,
hier spricht nicht bloss der Künstler, sondern der
Mensch; hier spricht die Seele mit ihrem Schicksal
aus ihren inneren Erlebnissen mit den ewigen Weltmächten
heraus. —

Albert Bartholome steht jetzt im dreiundfünfzigsten
Lebensjahre. Er ist Niemandes Schüler.
Eigener Drang führte ihn mit vierundzwanzig Jahren
vom Rechtsstudium zur Malerei, auf deren Gebiet
er eine Reihe, sowohl in der Farbe, als auch nach
ihrem Innengehalt feinfühliger Werke schafft. Mit
neununddreissig Jahren macht ihn der Tot einer
heissgeliebten jungen Frau zum Bildhauer. Er will
ihr Grabmal machen.

Dies ist auch die Entstehungsgeschichte des
Christus (Taf. 76). Weitab von den hergebrachten
Kruzifixen giebt dies hintenüber sinkende Haupt mit
den brechenden Augen und dem nach Athem ringenden,
geöffneten Munde eine Vision von ergreifender persönlicher
Wahrheit. Man vergisst dies Antlitz nicht. So
konnte es nur jemand bilden, der eine geliebte Person
hatte leiden und sterben sehen.

Zwölf lange Jahre werden des KünstlersGedanken
von Bildern des Todes und der Trauer beherrscht.
Er ersinnt sterbende und klagende Gestalten und
Gruppen, bis aus ihnen allmählich jenes grosse

Denkmal des Schmerzes zusammenwächst, das er
nach sechsjähriger Arbeit 1895 im Modell vollendet.
In dieser Gestalt wurde es vom französischen Staat
und der Stadt Paris für das Massengrab der Namenlosen
auf dem Pere Lachaise bestellt. Vier Jahre
hat Bartholome seiner Ausführung in Kalkstein gewidmet
. Am 1. November, dem Totenfest des
Jahres 1899, wurde das Grabmal enthüllt.

Wie der Gedanke eines Zugangs zu dem ernsten
Reiche der Toten im Aufbau des Ganzen, nach
anfänglichem Schwanken, zum Ausdruck gebracht
ist, lehrt das Koptbild über diesen Zeilen. Ursprünglich
war das Grabmal als ein freistehender
rechteckiger Bau in der Form eines ägyptischen
Grabes mit schrägen, nach oben sich verjüngenden
Wänden geplant, unter Verteilung des bildnerischen
Schmuckes auf die vier Seiten. Jetzt breitet er sich
in einer Fläche vor der pylonenartigen Wand aus,
die an die Tempelthore der alten Aegypter erinnert.
An den Bergabhang gelehnt und in niedrigeren Flügeln
nach beiden Seiten hin abgestuft, von Baumgruppen
überragt, umrahmt der Quaderbau mit seinen
schlichten Simsen die Thore des Todes, die in das
Innere der Erde zu führen scheinen.

In das Dunkel der mittleren Thür schreitet ein
Menschenpaar hinein. Der Mann entschlossener,
mit über der Brust gekreuzten Armen — auch das
leise Zurückwehen das Haares malt das unaufhaltsame
Vorschreiten; das Weib zögernder, das Haupt
klagend zurückgeneigt und den schlanken Arm wie
hilfsbedürftig zur Schulter des Mannes hinüberreckend
— über den dunklen Abgrund hinweg,
der die beiden trennt. Dies kam deutlicher, als
in der gegenwärtigen Ausführung in dem ersten
Entwurf der Gruppe (Mus. II, 136) zum Ausdruck,
auf dem zwischen den beiden im Boden noch der Spalt
klafft, an dessen Rändern entlang das Paar in die
dunkle Tiefe hinein ging. Von Mann und Weib
aber gleitet die letzte Hülle herab. Es ist der letzte
Schritt auf dem Wege des Todes, den sie schreiten.

An dieses Todesthor drängen von beiden Seiten
die Scharen der Klagenden und Verzweifelten heran.
Von rechts her voran ein älterer Mann, der sich angstvoll
zitternd an das Thorgewände klammert. Hinter ihm
drei Mädchen, fast noch im Kindesalter. Das eine
hat sich vornüber flach auf die Erde geworfen, ein
Bild äusserster Verzweiflung; ein knieendes Mädchen
neben ihr faltet die Hände, wie in starrem Entsetzen;
ein drittes, kleineres blickt nach Kinderart dumpf
vor sich hin. Es folgt ein engverbundenes Paar.
Ein knieender Mann stützt sein Weib, das vor Leid
zusammenzubrechen scheint. Die gebeugte Haltung,
die schlaff herabhängenden Arme, die übereinander
gelegten Hände, die auf dem Arme des Geliebten
einen Halt suchen, malen die todesmüde Ermattung.


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