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Liebreich tröstend umfasst sie der Gefährte. Zuletzt
ein Bild des Abschieds: ein Weib, das losgerissen
von den Ihren, den Hinterbliebenen Küsse zurücksendet
, und die Rechte beteuernd auf die Brust
legt — die Liebe höret nimmer auf!
Auf der linken Seite dieselbe leidenschaftliche
Klage, nur noch in dichterem Gedränge zur Todespforte
hin.Voran, schmerzversunken
eine Greisin,
die Hände über dem gelösten
Haare zusammen-
gekrampft, das tote, hintenüber
geworfene Enkelkind
auf der Schulter,
das sie beweint. Keusche
Verhüllung der unteren
Glieder verrät hier nicht
nur den seelisch feinfühligen
Künstler, sondern
bringt auch die Wohlthat
einer ruhigen Masse zwischen
die nackten dünn-
gliedrigen Gestalten hinein
. —
Drei Menschenpaare
drängen hinter ihr in leidenschaftlicher
Bewegung
nach: die Frauen in heftigem
Ausbruch der Klage,
entweder an der harten,
kalten Mauer entlang
tastend, oder sich beide
Arme vor das Gesicht
schlagend, wie um das Entsetzliche
nicht zu sehen,
das ihrer wartet; die Männer
neben ihnen stützend,
helfend, Trostesworte
flüsternd — eine ergreifende
Trilogie des Scheidens
und Sterbens.
In mittelalterlichen
Weltgerichtsbildern findet
man bisweilen Teufel
dargestellt, die den Haufen
der Verdammten von
einer Kette umzingelt zur
Hölle zerren. Michelangelo lässt den greisen Charon
mit geschwungenem Ruder ausholen, um die heulenden
Toten in seinen Kahn zu treiben. Bei Holbein
lädt ein grinsendes Gerippe die Vertreter der
verschiedenen Stände und Menschenalter mit skurrilen
Geberden zum Tanze. Wie veredelt ist alles
hier. Nur die rechts aufsteigende, links die sich
senkende Linie der Gesamtgruppe zieht mit unwiderstehlichem
Zuge die Geister der Verstorbenen
zum Todesthor. Die Einzelgestalten folgen diesem
Zuge wie von einer inneren Gewalt getrieben. Am
stärksten kommt dies rechts in dem Manne zum
Ausdruck, der von einer unsichtbaren Kraft vor-
wärts gestossen, sich angstvoll an das Thürgewände
anklammert; links in der herrschenden Gestalt dieser
Seite: dem schlanken
nackten Weib, das selbst
in seiner knieenden Stellung
wie unbewusst vordrängt
. Man bemerke, wie
die Bewegung in den
Steillinien des letzten Paares
jener Hälfte ebbt.
Und wie begleiten
mitfühlend die Gewänder
Bewegung und Empfindung
der Gestalten: hier
gleichsam erschlafft, in
hängenden Zipfeln lang
herabfallend oder auf dem
Boden sich ausbreitend,
dort das Vorwärtsdrängen
in strafferem oder lässigerem
Zuge wiederspiegelnd
. Solche Kunst ist
es, die den Meister verrät,
der hier wie im Chore
alles mitklingen heisst zu
vielstimmig ergreifendem
Klagegesang.
Der Künstler lässt uns
aber auch in das Land
hinüber blicken, das jenseits
des Dunkels und der
Klage liegt. Unter dem
Todesthor öffnet sich das
Grab, und man sieht ein
Ehepaar in seiner Stille
ruhen. Ueber ihrem
Schosse, aus dem es hervorgegangen
, liegt das
Kind hingestreckt — das
Antlitz verhüllt, das es
der Welt kaum gezeigt.
Es ist nackt wie die
Eltern; „denn wir haben nichts in die Welt gebracht;
darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinausbringen
". Nur das Grabtuch zieht sich über den
Scheitel des Mannes und ist über die nackte Erde
gebreitet, auf der die beiden mit leichenstarr und
mager ausgestreckten Beinen liegen.
Aber in den einander zugeneigten Häuptern, in
den vier Händen, die sich in rührender Verschränkung
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