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Hiob im Elend. lob. I.
allem Geschmack in der Farbenwahl, als Kolorist
und als Maler rückständig und primitiv innerhalb
seiner Periode.
Zuerst das einfachste bildliche Ausdrucksmittel
mit Kontur und bescheidener Innenzeichnung, ward
der Holzschnitt gegen das Ende des 15. Jahrhunderts
befähigt, eine feinere Zeichenweise mit
systematisch geordneten Parallel- und Kreuzlagen
im Abdruck wiederzugeben, die plastische Form
mindestens anzudeuten, der nachschaffenden Phantasie
des Betrachters zur Hilfe. Vollkommen aus
der handwerklichen Tiefe heraus hob erst der junge
Albrecht Dürer diese Technik. Die jüngere und
von vornherein weit vornehmere Gattung des Kupferstichs
gab dem Holzschnitt Anregungen. Der in
Goldschmiedewerkstätten geborene Kupferstich wurde
sehr rasch in Deutschland zu hoher Leistung gefördert
.
Die frischesten und geistreichesten Kräfte, die
namentlich in den oberdeutschen Landschaften
auf dem Felde der bildenden Künste hervortraten,
haben sich im Kupferstich, und fast nicht anders,
ausgesprochen, nämlich der Meister E S, Martin
Schongauer und der dem Namen nach unbekannte,
wahrscheinlich am Mittelrhein thätige Meister, der
das berühmte, jetzt zu Wolfegg bewahrte „Hausbuch"
geschaffen hat.
Dem Holzschnitt und dem Kupferstich gemeinsam
ist die Nötigung des rein zeichnerischen
Ausdrucks. Mit dem Strich, und zwar ausschliesslich
mit der Ausdehnung des Striches, nicht etwa auch
durch Nüancierung seiner Helligkeit, muss alles gesagt
werden, in Kontur, Binnenzeichnung und
Schraffierung. Die Schattenflächen werden, mit besonderer
Sorgfalt vom Kupferstecher, in ein Liniensystem
gleichsam übersetzt. Gewiss ist, dass die
Gewöhnung an den rein zeichnerischen Vortrag auf
die Kunstanschauung erheblich zurück wirkt, und in
deutschen Malwerken sind die Folgen davon zu
spüren.
Fern von der Natur sind die Schöpfungen der
druckenden Kunst in mehr als einem Sinne. Nicht
nur, weil ihnen die Farbe, ein wesentlicher Teil
des irdischen Scheines fehlt, die Grössenverhältnisse,
der zeichnerische Vortrag und der Papiergrund, der
fühlbar und vielfach auch sichtbar bleibt, sind ferner
sehr beachtenswerte Hindernisse, die eine Illusion
der Wirklichkeit, wie die Malerei sie anstrebt, von
vornherein ausschliessen. Aus der Beschränktheit
und der Armut erwächst die besondere Freiheit, der
besondere Reichtum des Holzschnitts und des
Kupferstichs. Der Bilddruck bietet eher eine Abbreviatur
, ein Schema als die Naturerscheinung selbst
in ihrer Fülle, mit ihren Einzelheiten. Er regt die
Phantasie des Betrachters an, indem er sie nicht befriedigt
. Seine auslassende und betonende Willkür
wendet sich mehr an den Geist als an die Sinne.
Fern dem Naturvorbild ihrer Art nach ist die
druckende Kunst autonom, entzieht sich der Kontrolle
und vielen Anforderungen, ähnlich der Poesie,
die innerhalb der befreienden Gebundenheit der
Verssprache vieles wagen kann, was der Prosarede
nicht gestattet ist. Das Momentane, Visionäre, das
Unsinnliche und Uebersinnliche ist der andeutenden
Kunst noch zugänglich, während die ausführende
ungestraft dorthin sich nicht versteigen darf. Der
schwerfälligen Ehrlichkeit, der handwerklichen Gewissenhaftigkeit
, mit der die Deutschen zu Anfang
des 16. Jahrhunderts ihre Bilder schufen, waren die
kühnen Phantasien der Baldungschen Hexendarstellungen
, die geistreichen Erfindungen der Holbein-
schen Totenbilder und das gewaltige Pathos der
Dürer'schen Apokalypse nicht erreichbar.
Die deutsche Kunst, die allzusehr den Einzelheiten
des Naturvorbildes sich hingab und wieder
Der Prophet Jonas vor Ninive. Jon. I. II. III.
allzusehr durch seelischen und gedanklichen Anteil
bewegt wurde, hat weniger in Gemälden als in
Holzschnitten und Kupferstichen ihr Bestes ans Licht
zu bringen vermocht. Max J. Friedländer.
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