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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_08/0060
ergreifende Seelenäusserung zu geben, hat ihm ähnlich
wie Adam Krafft ein hohes Relief in der deutschen
Kunstgeschichte gesichert, und seitdem ihm die
Kritik alle dem anonymen Meister des Creglinger
Altars zugewiesenen Werke zurückgeben musste,
steht er mit Veit Stoss auf gleicher Stufe und hat
diesen in mancher Beziehung sogar übertroffen.
Weil Tilmann in lebensvollen, meist jugendlichen
Köpfen mit gemischt wehmütigen Zügen und lockiger
Haarfülle stets das rechteMass imseelischenEmpflnden
zu halten wusste, ist er uns gerade so lieb und wert
geworden. Kein lauter Schmerzensschrei erschreckt
uns, kein wilder Ausbruch der Verzweiflung stört
die heilige Ruhe; lieber greift der Meister zu einem
leisen Weinen, um uns dadurch desto mehr zu
rühren. Alles ist auf eine Stimmung berechnet, die
auf ein kindlich gläubiges Herz ihre Wirkung nicht
verfehlen kann. Und zugleich gelingt ihm in den
meisterhaft gearbeiteten Gesichtern eine einfache anmutige
Schönheit. Eins nur mag man bei ihm
auszusetzen haben: wirklich freie Bewegung fehlt
seinen untersetzten, knochigen Bürgersleuten mit den
schmalen Schultern und den dünnfingrigen Händen,
ihnen haftet etwas von dem steifen Benehmen einer
Automatenfigur an, deren Bewegungen, mag sie noch
so naturalistisch gearbeitet sein, immer eckig bleiben.

Aus Osterode am Harz stammend, kam Tilmann
als talentvoller frühreifer Knabe auf der Wanderschaft
nach Süddeutschland, wo er unter der Aufsicht von
schwäbischen und fränkischen Meistern gearbeitet
haben mag. Fünfzehnjährig Hess er sich in dem
Bischofssitze Würzburg nieder, beschäftigte nach
Erlangung des Bürger- und Meisterrechtes eine Zahl
von Lehrlingen und heiratete bald darauf die Witwe
eines zünftigen Meisters.

In arbeitsfrohem Schaffen stieg er vom hand-
werksmässigen Schnitzer hinauf zum Künstler und
entwickelte in dem ersten Jahrzehnt des i6. Jahrhunderts
eine besonders lebhafte Thätigkeit. Zugleich
wurde auch seine bürgerliche Stellung durch die
Wahl zum Ratsmitgliede und Stadtbaumeister ausgezeichnet
, und fortan war er für die Stadtverwaltung
unentbehrlich geworden, so dass ihm später als
wohlhabenden Bürger das angesehenste Amt in der
Stadt, die Stelle des Bürgermeisters, übertragen
wurde.

Sein frühestes bekanntes Werk, das im hohen
Relief aus dem Stein herausgearbeitete Grabmal des
Eberhard von Grumbach in der Pfarrkirche zu Rimpar,
lässt des Meisters eigene Art noch keineswegs erkennen
, erhebt sich auch kaum in der künstlerischen
Erfindung über die gotischen Grabmonumente seiner
Zeit. Aufgerichtet steht der Ritter in voller Rüstung
steif und unbeweglich auf einem Löwen da. Aber
bereits in den nur teilweise und zerstreut erhaltenen

Schnitzereien von dem 1492 aufgestellten Altare zu
Münnerstadt prägen sich des jungen Künstlers Ideen in
origineller Weise aus. Wenngleich die vier Flügelreliefs
, am meisten jene im Schlosse Mainberg aufbewahrte
Tafel mit der Begegnung Christi mit Maria
Magdalena im Garten, unmotiviert gefaltete, blechartig
gedrehte Gewandung aufweisen, wie sie der
Nürnberger Schnitzerschule des Veit Stoss eigen
ist, so sind die Rundfiguren der Maria Magdalena
und der hl. Elisabeth sowohl in der Stellung des
Körpers und der behutsam gestellten Füsse wie in
dem träumerischen Ausdruck zart empfundene Gestalten
, deren rhythmische Faltenbehandlung schon
Anklänge an des Meisters spätere Gewandfiguren
deutlich sehen lässt. Allerdings bleibt in den bis
1495 gearbeiteten Werken, in der Madonna für die
Neumünster Kirche zu Würzburg, in dem im Heidelberger
Schlosse befindlichen Apostelaltar und auch
in dem Steingrabmal des Bischofs Scherenberg im
Würzburger Dom zunächst jene überreiche eckig
gebrochene Fältelung vorherrschend, und auch die
beiden ersteren Werke bekunden die Vorliebe für
gedrehte Gewandzipfel.

Zu einem rein künstlerischen Ergebnis gelangt
Riemenschneider eigentlich erst in seinen drei heute
noch im Taubergrunde stehenden Altarwerken, die,
was phantasievolle Auffassung, naturwahre Seelenäusserung
und geschickte Technik betrifft, den Höhepunkt
seiner Schnitzkunst bezeichnen. Seitdem sie
Riemenschneider wieder gesichert sind, tritt sein
Kunstcharakter eigentlich erst recht kräftig hervor.
Seine beiden Hauptschnitzwerke, der hl. Blutaltar
in der Jacobskirche zu Rothenburg und der Marienaltar
zu Creglingen verdienen es, mit den Hauptwerken
der Nürnberger Meister zugleich genannt zu
werden. Wenn wir in ihnen auch weder nach
harmonischer Schönheit wie bei Vischer, noch nach
klarer Gruppierung wie bei Krafft suchen dürfen,
so liegt Riemenschneiders Stärke in dem Ausdruck
einer poetischen Träumerei und eines feinfühligen
Empfindens.

Obwohl die grösste dieser beiden Arbeiten, der
Altar zu Creglingen, urkundlich für Riemenschneider
nicht beglaubigt ist, so gehört er dennoch unserm
Meister wegen der Aehnlichkeit mit früheren Werken
so gut wie sicher an, und die künstlerische Qualität
des Altars allein, die ihn über alle anderen
Werke des Meisters erhebt, war an der irrigen
Meinung schuld gewesen, dass er ein Erzeugnis eines
dem Riemenschneider wohl verwandten Meisters sei,
der aber in der Kunst der grössere war. Wahrscheinlich
für die Jacobskirche zu Rothenburg gestiftet
, scheint er in der sturmbewegten Zeit der
Reformation in die kleine abgelegene Wallfahrtskirche
zu Creglingen gerettet worden zu sein, wo


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