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er bis heute, ungünstig aufgestellt und viel zu gross
für den kleinen Raum der Kirche, völlig unversehrt
verblieb, so dass an den Adern der Hände und an
den Falten in den Gesichtern die feinste, eigenhändige
Durchführung des Meisters noch erkennbar
ist. Weil er so sehr naturalistisch ins Detail gearbeitet
ist, war der Altar vermutlich unbemalt geblieben.
Der geöffnete Mittelschrein zeigt in Rundfiguren
die Himmelfahrt der Maria, der die auf der Erde
knieenden Apostel mit fein abgestufter Empfindung
nachschauen. Ergreifend ist die bange Ueberraschung,
rührend die demütige Hingabe, das anbetende
Staunen, die gedämpfte Klage und die wehmütige
Trauer zum Ausdruck gebracht, und überaus
reizend ist die Art, wie die fünf Engel wie Tauben
Maria umflattern, die mit andächtig erhobenen
Händen ernst gen oben schaut.
Auch die Flügelreliefs des Altars, die aus dem
Leben der Maria erzählen, stehen in der sauberen
Durchführung und der gerühmten Seelenäusserung
nicht nach. Die Verkündigung und die Begegnung der
Maria mitElisabethaufdem rechten Innenflügel nehmen
wegen der würdevollen Ruhe im seelenvollen Ausdruck
besonders ein. Wenn uns einzelne Scenen dennoch
nicht so ansprechen wie die Figuren des Mittelschreines
, so liegt der Grund lediglich darin, dass
bei dem damaligen Streben nach malerischer Gestaltung
des Reliefs das plastische Formgefühl des
Schnitzers manche Einbusse erleiden musste. Zufriedenstellendes
in der malerischen Reliefbildung
konnte nur einem Meister gelingen, der umfassende
Kenntnisse in der linearen und der Luftperspektive
besass. Deren aber gab es in Deutschland nur
wenige, und selbst Dürer gelangte erst spät dazu.
Andrerseits passt aber gerade das Formale zu der
rührenden Geberdensprache, zu der zwar undramatischen
, aber liebenswürdigen Art zu erzählen,
zu den einzig schön gearbeiteten Händen und dem
grossgedachten Faltenwurf. Hier hat Riemenschneider
eins vor Stoss voraus: durch seine Werke geht der
rein deutsche Zug des Mittelalters, dem Geistiges wie
Formales entspricht, er selber war ein echter Deutscher
. Veit Stoss war bei seiner dramatischen
Charakteristik immerhin ein unruhiger, leicht erregter
Geselle, dessen Hast und Leidenschaft auch auf
seine Figuren übergingen; ja im Grunde finden sich
bei ihm wenig deutsche Charakterzüge, die^ uns für
den Meister wirklich erwärmen könnten. Sein langer
Aufenthalt in Krakau scheint ihn in der Jugend
fast zum Polen gemacht zu haben, den er in Nürnberg
so leicht nicht ablegen konnte.
Auch mit Vischer verglichen, behält Riemenschneider
nach einer Seite hin den Vorzug. Unter
dem Einflüsse der Renaissance bekommen Vischers
Gestalten, mag man seine feinfühlige Ornamentik im
italienischen Geschmack namentlich auf den früheren
Grabplatten noch so sehr bewundern, leicht etwas
von Eintönigkeit und verlieren an Charakteristik.
Riemenscheider dagegen behält wie Adam Krafft die
Form bei, wie sie der Art zu sehen damals
entsprach, und in diesem Sinne haben beide Meister
in der Plastik, Dürer in der Malerei den rejn
deutschen Geist des Mittelalters vollkommen verkörpert
.
Aehnlich wie beim Creglinger Altar sind die
nicht viel später, zwischen 1500 und 1505, gearbeiteten
Figuren zum hl. Blutaltar in der Jacobskirche zu
Rothenburg, dessen architektonischer Aufbau mit
dem zugehörigen Ornamentsschmucke von einem
Meister Erhart erfunden und ausgeführt war, in der
Sphäre der Beruhigung entstanden, so dass in der
Abendmahlsdarstellung im Mittelschreine der Ausdruck
des Beteuerns, des Fragens, des Mitleids, der
argwöhnischen Entrüstung gemässigt erscheint. Die
feinste Sorgfalt in der Durchbildung bekunden
wieder die umlockten Köpfe und die abwechslungsreich
gestellten Hände und Füsse, und nur die
feinknittrige, wie aus gesteiftem Linnen bestehende
Gewandung könnte wegen der unmotivierten Falten-
gebung an die Mithilfe seiner Gesellen gemahnen,
deren er zwölf seit dem Jahre 1501 in seiner
Werkstatt beschäftigte. Als tüchtige Arbeiten des
Meisters aus jener Zeit müssen ferner die vier trefflichen
sitzenden Evangelisten im Berliner Museum
gelten, bei denen ausser anderen deutlichen Aehn-
lichkeiten mit den Aposteln des Blutaltares die
leichte Neigung des Kopfes die Empfindung erhöhen
soll.
Das dritte Werk im Taubergrund, der hl.
Kreuzaltar zu Detwang unweit Rothenburg, bekundet
, weil er schon um 1500 entstanden ist, mehr
als der Blutaltar die eigenhändige Ausführung des
Meisters. Vor allem ist der Körper Christi, der
mit erstaunlich anatomischem Interesse weich behandelt
ist, ein Meisterwerk der Schnitzkunst, und
das durchgeistigte schmerzvolle Antlitz mit dem
beim Sterben halbgeöffnet gebliebenen Munde giebt
für Riemenschneiders feines künstlerisches Empfinden
das beste Zeugnis. Nicht minder gelungen ist auch
die Gewandung der unter dem Kreuze klagenden
Frauen, deren wenngleich reich gebrochene Fältelung
sich durch grosse Klarheit auszeichnet.
Ohne Zweifel hängt die Faltengebung von
dem Material ab, worin sie ausgeführt wird.
Dass es dem Messer des Schnitzers sehr nahe liegt,
sich in Rundungen und Bauschen zu ergehen,
zuweilen mehr als es gut ist, liegt auf der
Hand. Jenen oft spielerischen Formen im Stein zu
folgen, sind dagegen dem Meissel des Bildhauers
Schranken gesetzt. Schnitzer, die gelegentlich auch
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