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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_08/0066
gesunken. Das zeigen die schwächeren Schüler
Antonio Vivarinis wie Michele Giambono u. a. Die
tüchtigeren fühlten wohl ihren Mangel an Formenkenntnis
, an Verständnis für die Plastik der Gestalten
und in der Kunst der dramatischen Komposition
und ergriffen mit Eifer, ja sogar mit Ueber-
eifer die günstige Gelegenheit, um bei dem grössten
der toscanischen Plastiker, bei Donatello, der gerade
um diese Zeit in Padua und Venedig thätig war,
zu erlernen, was ihnen fehlte. Der lebhafte, mitteilsame
Florentiner scheint an seiner Apostelrolle
in den venetischen Landen Gefallen gefunden zu
haben, denn er hat die Gaben aus seinem Reichtum
mit vollen Händen ausgestreut.

Man kann wohl sagen, dass Donatello eine vollständige
Umwälzung in der venezianischen Kunst
hervorgerufen hat, dass er nicht nur die weniger
selbständigen Künstler zur Nachahmung gezwungen,
sondern auch die allergrössten, Mantegna und Giovanni
Bellini, in seinen Bannkreis gezogen hat. Alle
empfanden, dass sie das, was sie zu lernen hatten,
bei keinem besser lernen konnten als bei Donatello.
So lenkt der Florentiner die Veneter aus ihrer eigenen
Bahn ab und leitet eine sozusagen unvenezianische
Periode der venezianischen Malerei ein, eine Zeit
heilsamen Studiums, des Ueberganges vom gebundenen
zum freien Stile.

Auch hier wieder sind beide Familien, die
Bellini und die Vivarini mit ihren Gefolgschaften
gleichmässig und einträchtig bemüht, des neuen
Heils, das aus dem Westen kam, teilhaftig zu werden.
Der alte Jacopo Bellini hatte wohl schon bei seinem
Aufenthalte in Florenz jene Kunst kennen gelernt,
für seine Söhne aber und besonders für Mantegna
war der erste Eindruck um so überwältigender. Der
Stil ihrer Jugendwerke kann in seiner unvenezianischen
Eigenart nur durch den Einfluss Donatellos
erklärt werden.

Ob der alte Antonio Donatellos Kunst selber
kennen gelernt hat, wissen wir nicht. Was in seinem
Gemälde im Lateran in Rom von 1469 an den neuen
Stil gemahnt, könnte auch durch Bartolomeo Vivarini
ihm zugekommen oder auf die Rechnung jüngerer
Mitarbeiter zu setzen sein. Dagegen steht die Beziehung
zu Donatello bei seinem jüngeren Bruder Bartolomeo
ebenso wie bei Grivelli und anderen ausser
Zweifel. Wesentlich ist es Mantegna gewesen, der
in seiner Donatellesken Periode den Stil des grossen
Bildhauers selbständig verarbeitet und, ins Malerische
übertragen, den anderen näher gebracht hat. Aber
auch der unmittelbare Einfluss der Werke Donatellos
lässt sich nicht verkennen. Charakteristisch
tritt er auch in der tief dunkelbräunlichen Färbung,

die offenbar auf die Nachahmung der Bronzewerke
zurückzuführen ist, zu Tage.

Wie hierin schiesst man dann auch in anderen
Beziehungen über das Ziel hinaus. Carlo Crivelli
(s. Mus. V S. 13) wie Bartolomeo Vivarini gehen zu
einer Schärfe in der Zeichnung der Umrisse und
der einzelnen Formen, zu einer übermässigen Betonung
des Knochenbaues, der Muskeln und Sehnen,
zu einer Plastik in der scharfen Beleuchtung und
in der Faltenbildung über, die zu dem Stile ihrer
unmittelbaren Vorgänger Antonio Vivarini und Jacopo
Bellini im grössten Gegensatze stehen. Bartolomeo
bestrebte sich offenbar, die Formen klar zu
modellieren und sie auch unter den am Körper fest
anliegenden Gewändern deutlich hervortreten zu
lassen und vor allem in seinen Gestalten naturwahre
Charaktertypen hinzustellen. Seine Menschen bekommen
so einen mürrischen, griesgrämigen Ausdruck
, und selbst die Madonna hat etwas Herbes in
ihren Zügen.

Seine grossen Vorzüge geben sich in der immer
vortrefflichen technischen Ausführung, in der sorgfältigen
und naturwahren Wiedergabe des Stofflichen
und in den prachtvoll tiefen und saftigen
Farben in seinen Bildern, so weit sie gut erhalten
sind, zu erkennen. Wie weit Bartolomeo in der
Naturbeobachtung über seinen Bruder Antonio fortgeschritten
ist, das zeigen besonders deutlich die vortrefflichen
Porträtgestalten im Mittelbilde des Trip-
tychons in S. Maria Formosa in Venedig (Taf. 107),
das überhaupt zu seinen reifsten und schönsten
Werken gerechnet werden kann.

Zu dem naiv religiösen Empfinden im Sinne
der kirchlichen Tradition, das er noch bewahrt,
treten seine naturalistischen Bestrebungen in einen
gewissen Gegensatz und lassen es so nicht zu einer
harmonischen Wirkung kommen, wie sie die in
ihrer Art ganz einheitlichen Gemälde Antonio Vivarinis
ausüben. Bartolomeo ist noch bis in die
90 er Jahre thätig gewesen, seine Manier hat er aber
kaum wesentlich geändert, er ist bei dem Stil der
Uebergangszeit stehen geblieben.

Erst die jüngere Generation, Antonios Sohn
Alvise und vor allem Giovanni Bellini kehren, gefolgt
von der grossen und wackeren Schar ihrer
Schüler, nach dieser, der venezianischen Malerei
ebenso notwendigen wie nützlichen Lehrzeit in der
Schule der Florentiner, aus der klaren, hellen Wirklichkeit
wieder in ihre prunkende Traumwelt der
Empfindungen zurück, in ihr Reich der rein poetischen
Fiktionen, denen sie nun erst, mit allen
Kenntnissen und technischen Mitteln ausgerüstet,
den Schein des Lebens zu geben vermögen.

Paul Kristeller.

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