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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_08/0070
geblich hinwegzutäuschen suchte. Betriebsamkeit,
Sauberkeit, übertriebenes Ziselieren und überladene
Komposition traten an Stelle machtvoll schöpferischer
Schlichtheit. Der klassische Name für diese Verschiebung
ist Sperandio aus Mantua, der mit 50 Nummern
alle seine Konkurrenten der Zahl nach schlägt.
Sein Leben ist ein Wandern von Mantua nach Bologna,
Venedig, Ferrara, Urbino, Faenza und wieder zurück.
In den 35 Jahren seiner Thätigkeit haben fast alle
Fürsten der Macht und des Geistes, deren Pfad er
kreuzte, ihm gesessen; die Bentivogli und die Este,
die Sforza in Mailand und Pesaro, Federigo da
Montefeltre und Galeazzo Manfredi. Von der Medaille
auf den Urbinater Schlossherrn rühmten
schon die Weimarer Kunstfreunde, d. h. in diesem
Fall Goethe selbst, dass die Schranken zwischen
Kunst und Leben hier niedergeworfen seien. Die
Rückseite von Sperandios Medaillen werden so beliebt,
dass sogar die Maiolica sie als Mittelstück für ihre
Teller ausbeutete. Und doch: wir fühlen es diesen
Medaillen an, dass die erste Liebe nicht mehr über
ihnen waltet nnd die strenge Reinheit verloren gegangen
ist. Sperandio als Dichter ist durchaus
dürftig, seine Allegorien sind plump oder spitzfindig.
Der Goldschmied siegt über den Klassiker, Sauberkeit
gilt mehr als ruhige Grösse.

Und nun endlich Florenz. Konnte die Arnostadt
zurückbleiben, wenn in Oberitalien solche
Triumphe gefeiert wurden? Im allgemeinen wird
man sagen dürfen, dass dem Florentiner die Medaille
nicht lag, weil ihm an ihr nichts lag. Man
lese Wilhelm Bodes schönen Aufsatz über das
Florentiner Zimmer des Quattrocento im Werk der
Berliner Renaissanceausstellung und frage sich, ob
hier die Medaille unentbehrlich ist, ob sie verlangt
wird. Dem intimen Einzelschmuck wendet sich der
Florentiner mit weit weniger Freude zu, als z. B.
der Venetianer. Noch heute giebt es nirgends
kahlere Räume als in Florenz; freilich auch kaum
majestätischere. Dem herben grosszügigen Geschmack
der Florentiner lag mehr an dem Schmuck
des Stadtbildes und der Strasse als des Zimmers.
Wird doch in Florenz selbst das Madonnenrelief
am liebsten an die Strasse gehängt! So erklärt es
sich, dass in Florenz die Medaille spät erst auftaucht
. Der erste Künstler, der sich ihr hingiebt,
ist ein Pratese und er dient nicht den Medici,
sondern den Päpsten. Ausser Bertoldo und vielleicht
Benedetto da Maiano haben sich die Grossen
hier nicht auf die Medaille eingelassen. Während

die Oberitaliener fast durchgängig stolz signieren,
fehlt der Künstlername fast auf allen Florentiner Medaillen
. Sie verraten sich aber durch die monumentale
Kraft der Darstellung, die oft eine gewisse
Herbigkeit mit einschliesst; die Gestalten sind derb,
die Kehrseite schlicht und nicht malerisch, sondern
plastisch. Dabei ist — im Gegensatz namentlich zu
Venedig — das Relief hoch und die Durchführung
wenig sorgfältig. Erst am Ende des Jahrhunderts,
als die goldene Zeit für Florenz vorbei ist, wird
die Medaille auch von den Florentiner Adeligen
begehrt. Die weit gereisten Strozzi scheinen die Mode
aufgebracht zu haben, die sich dann rückwärts
blickend der grossen Toten ebenso eifrig bemächtigte
wie der Lebenden. Bertoldo, dessen Medaille auf
den Sultan Muhamet II. uns besonders wertvoll
ist, dürfte auch die Denkmedaille auf den Pazzi-Tag
zuzuschreiben sein. Den Eroberer von Konstantinopel
hat er mit drei anderen Medailleuren, Gentile Bellini
, Constantius und einem Anonymus gewisser-
massen im Wettbewerb porträtirt — sicher nicht
auf Grund der Autopsie, sondern in Anlehnung an
Gentiles Medaille, dessen Aufenthalt in Konstantinopel
ja feststeht. Bei der Gelegenheit sei berichtet
, wie drastisch dieser türkische Mäcen den
Künstler über Kunst zu belehren wusste. Gentile
zeigt ihm eines Tages ein Bild mit der Hinrichtung
eines Heiligen; der Sultan tadelt das fliessende Blut,
Gentile protestiert — da zieht der Mogul das Schwert,
köpft den zufällig neben ihm stehenden Sklaven
und ruft: „Sieh, wie es richtig ist".

Neben Bertoldo ist Niccolo di Forzore Spinelli
der eigentliche Medailleur der Medici, der Strozzi,
der Tornabuoni, der Albizzi. Er braucht den
Vergleich mit Ghirlandaios Porträtgalerie im Chor
von Sa. Maria novella nicht zu scheuen. Die
grosse Mehrzahl der florentiner Medaillen sind wie
gesagt nicht signiert. Unter den Dargestellten sind,
wie es in einer Republik nicht überrascht, neben
den Adligen besonders viele humanistische Leuchten.
Die platonische Akademie Lorenzos findet sich hier
fast vollzählig wieder beisammen. Und selbst die
grossen Toten aus dem Reich des Geistes, Dante,
Petrarca, Boccaccio, werden in dem Bronzekatalog
mit verewigt. Es ist der erste Anfang für jenen
Kultus der Vergangenheit, den das melancholisch
rückblickende Florenz des XVI. Jahrhunderts an die
Stelle der frischen Verherrlichung der Gegenwart
setzt, die im fünfzehnten Jahrhundert selbstver-
ständlich gewesen war. paul Schubring

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