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auch nicht die vielen Einzelheiten,
aus denen die Dinge zusammengesetzt
sind, alle auf einmal, sondern
Gesamtbilder, in denen das
Einzelne im Ganzen aufgeht; wir
sehen den Baum als Totalität,
aber nicht in seinen unzähligen
einzelnen Blättern.
Der Künstler, der die Dinge
so darstellt, wie sie uns erscheinen
, giebt sie in der vollen Wahrheit
. Lysipp hat in der Statue des
Apoxyomenos ein solches Bild
geschaffen. Es liegt ihr sicherlich
ein nicht weniger genaues Studium
aller Einzelheiten der Formen zu
Grunde als dem Werke des Poly-
klet, doch das Wissen ist zurückgedrängt
. An dem reich und
bewegt modellierten Körper sind
die kleinen Züge den grossen
untergeordnet, Einzelheiten sind
mit Berechnung der Totalwirkung
andeutend durchgeführt und zu-
sammengefasst, die Ausführung ist
auf ein gewisses Mass beschränkt.
Auf die richtige Bestimmung dieses
Masses kommt alles an.
Ein Ausspruch, der von Apelles
überliefert wird, knüpft hier an
und zeigt klar, wie der Maler mit
dem Bildhauer den gleichen Weg
ging. Es ist das bekannte „manum
de tabula". Der Künstler müsse
wissen, wann er die Hand von dem Bilde zu lassen
habe; ein Zuviel in der Ausführung, so betonte er
ausdrücklich, könne mehr schaden als ein Zuwenig.
Es war das mit Beziehung auf ein berühmtes Bild
des Protogenes gesagt, eine Darstellung des Rho-
dischen Stammesheros Jalysos, an der der Maler
angeblich sieben oder elf Jahre gearbeitet hatte und
die als ein Wunder von Kunstfertigkeit angestaunt
wurde. Auch Apelles sei, so wird erzählt, beim
Anblick des Werkes betroffen gewesen von dem
Fleiss und der Sorgfalt, dann aber habe er gesagt,
es fehle dem Bilde eins, die yaQiq; in Allem erkenne
er an, dass Protogenes ihm gleichstehe oder
gar überlegen sei, in Einem aber bleibe er hinter
ihm selbst zurück, dass er in der Ausführung nicht
das richtige Mass zu halten wisse.
In einem seiner Bilder hatte Apelles die vom
Meer aufsteigende Aphrodite gemalt. Auch in
anderen Werken, in dem Bilde der Pankaste, einer
der Geliebten Alexanders, die er nackt darstellte,
dann in dem grösseren Gemälde einer Artemis im
Kopt des Apoxyomenos.
Marmorstatue. Rom, Vatikan.
Kreis schwärmender Nymphen hatte er die Darstellung
der Schönheit des weiblichen Körpers zum
Motiv genommen. Aber diese Schönheit kann nicht
der Art gewesen sein, wie sie etwa Praxiteles in
seiner vielbewunderten knidischen Aphrodite verkörperte
. Was Apelles unter Charis verstand, lehrt
jener Ausspruch über die Kunst des Protogenes.
Bei ihm muss die Schönheit weniger durch den
Reiz der körperlichen Form als durch die besondere
Weise der künstlerischen Behandlung ihren
Ausdruck gefunden haben. Vielleicht würden wir,
wenn uns ein glücklicher Fund eine weibliche Statue
des Lysipp schenkte — an das noch grössere Glück
der Wiedergewinnung eines Gemäldes ist ja kaum
zu denken —, uns auch die Art, wie Appelles die
weibliche Schönheit bildete, zu anschaulicher Vorstellung
bringen können. Gewiss blieb er darin
fern vom Idealisieren und sehr auf dem Boden des
wirklichen Lebens. Das dürfen wir vermuten aus
der ganzen Richtung, die er vertrat, und da er, wie
ebenso Lysipp, im Porträt das Grösste leistete, auch
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