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nichts engelhaftes, und ihr Sohn ist nicht so munter
wie die italienischen Christuskinder, aber sie ist doch
eine Frau von sehr feinem Gesichtsausdruck,
wunderbar zarter Hautfarbe, prächtigem Goldhaar
und schlanken Händen, eine grosse, stattliche Erscheinung
. Im Bilde freilich sieht sie fast wie ein
himmlisches Wesen in irdischer Umgebung aus.
Denn die Reinheit und Schönheit von Mutter und
Kind wird noch gehoben durch das Gold der Krone,
das prachtvolle Blaugrün des Rockes und nicht
zum mindesten durch den
Kontrast mit der knieenden
Stifterfamilie. Denn
diese kräftigen Porträtgestalten
mit ihren fleischroten
Gesichtern und den
harten Farben der Zeittracht
erinnern noch ganz
anders an die alltägliche
Wirklichkeit, wie die
schöne Frau, die leicht
und fast schwebend in der
Mitte vor der Nische steht.
Das Altarwerk ist ein
sogenanntes Schutzmantelbild
; links über der Schulter
des Bürgermeisters ist
angedeutet, dass die
Gottes-Mutter ihren Mantel
über die Schutzbefohlenen
ausbreitet. Es
kommen solche Darstellungen
von geringeren
Meistern und von ganz
unbekannten noch zu Hunderten
aus dem 15. und
16. Jahrhundert vor. Holbeins
Gemälde ist aber mit
den gleichzeitigen Aposteln Dürers in München
wohl das bedeutendste und letzte bedeutende Altarwerk
unserer nationalen Kunst für Jahrhunderte.
Von dem Darmstädter Exemplare wurde 1887
der trüb gewordene Firniss mit den alten Ueber-
malungen abgewaschen und da erkannte man mit
Staunen, dass das Bild noch intakt und auch eines der
farbenprächtigsten jener Zeit war. Es zeigte sich
ferner dieselbe emailartige Behandlung und zum Teil
sogar ganz dieselben Fleischtöne wie bei zwei gleichzeitigen
kleinen Bildern des Meisters im Baseler Museum
, zwei Halbfiguren, der Lais Corinthiaca
Holbein, Studie zum Kopf des Stifters in der Madonna
des Bürgermeisters Mever.
Kreidezeichnung (verkleinert). Basel, Museum.
Photographie von Braun, Clement & Cie., Dornach.
(datiert 1526) und der Venus mit dem Amor. Deutlich
ist auch heute zu sehen, dass die Haube der
einen Frau und die Anordnung der Haare bei der
Tochter ursprünglich genau so ausgesehen haben,
wie auf den erhaltenen Studien, später aber von dem
Künstler selbst noch verändert worden sind. Das
Dresdener Exemplar ist aus einem Gusse und im
vulgären Sinne hübscher, aber überall flauer und
übrigens in einer Malweise ausgeführt, die erst nach
Holbeins Tode üblich wurde. So wenig aber wie
ein Dichter in dem Dialekte
eines späteren Jahrhunderts
dichten kann, so
wenig ist es bei einem noch
so bahnbrechenden Meister
denkbar, dass er in einem
einzelnen Werke t noch
dazu in einer Selbstkopie,
über seine Zeit so weit
hinausgreift, wie er dies im
Dresdener Bilde gethan
haben müsste.
Schon lange vor der
Restauration, schon seit
dem Beginn unseres Jahrhunderts
, haben sich daher
auch die Stimmen der
Fachleute gemehrt, die
dem Darmstädter Exem-
plarerst bloss den Vorrang,
dann die alleinige Geltung
als Original zuerkannt
haben. Durch den trüben
Firniss hindurch haben erprobte
Augen die Vorzüge
dieses Bildes und sogar
Holbeins eigene Korrekturen
, die ursprüngliche
Uebereinstimmung mit den Studien erkannt.
Bei der Holbein-Ausstellung von 1871 fand ein
förmliches Gericht von Sachverständigen statt, und
wenn nun auch die Gelehrtenkongresse nicht die
Gelegenheiten sind, wo die epochemachenden Siege
der Wissenschaft errungen werden, so war es doch
bedeutungsvoll, dass dem Darmstädter Exemplare
fast einstimmig der Vorzug eingeräumt wurde. Seit
der glücklichen Reinigung dieses Gemäldes schmilzt
die Zahl derjenigen, die das Dresdener Bild für ein
Original oder für eine zeitgenössische Replik halten,
immer mehr zusammen.
Heinrich Alfred Schmid.
Herausgeber: Wilhelm Spemann, Stuttgart; Redaktion Dr. R. Graul und Dr. R. Stettiner, Berlin; Druck von W. Büxenstein, Berlin;
Verlag von W Spemann in Berlin und Stuttgart.
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