Augustinermuseum Freiburg i. Br., 1009/11
Das Museum: eine Anleitung zum Genuß der Werke bildender Kunst
Berlin, 11. Band.[1911]
Seite: 15
(PDF, 164 MB)
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Dürer als Bildnismaler.

Unter Dürers Bildnissen bedeutet keines dem
modernen Betrachter ebenso viel wie der„Holz-
schuher". So lange die Tafel in Nürnberg stand, war
Dürer der Vaterstadt noch nicht gestorben.

Eine rein artistische Betrachtung möchte die
Bevorzugung dieses Portraits ungerecht finden. Wer
nur zu einer rein artistischen Betrachtung käme!
Des Mannes bohrender
Blick benimmt dem
Beschauer den Atem
und jedenfalls die Kritikerruhe
. Die ersten
Vorstellungen weckt der
Dargestellte, nicht die
Darstellung. Vor uns
der Deutsche, der Franke
, der Bürger, der
Denker, der Kämpfer!
Das Typische spricht
deutlicher als das Individuelle
. Ein Gleichgewicht
höchster physischer
und höchster psychischer
Kraft war das
Ideal des 16. Jahrhunderts
. Die schwellend
sinnlichen Lippen könnten
im Einklang mit
der fleischigen Breite
der Wangen brutal erscheinen
— wenn nicht
die stolze Stirn und der
Blitz aus den weit geöffneten
Augen die
Herrschaft festhielten.
Pathos beseelt die
schweren Formen, das

Pathos der deutschen Reformation. Die sichere Gewalt
schwer errungener Ueberzeugung schlägt aus
diesem Blick, den kein Gegner zu ertragen vermöchte.
Die äussere Ruhe steigert den Effekt des inneren
Lebens. Der Kopf steht vollkommen gerade, in der
Wendung des Leibes, halb seitlich. Die Augen sind
nach vorn gedreht. So scheint der Hals unbeweglich,
und das erhöht die steinerne Monumentalität des
massigen Hauptes.

Die Zeit und das Deutschland dieser Zeit war
stark, laut und offen und jugendlich gesund, wie dieser
Holzschuher, dessen geistige Jugendlichkeit im Kranze
des weissen Haares um so feuriger triumphiert.

Dürer, Bildnisstudie 1514.

Federzeichnung (verkleinert). Wien, Albertina.
Photographie von Braun, Clement & Cie., Dornach.

Wie Hieronymus Holzschuher? Dem Portraitierten
möchte damit zuviel, dem Portraitisten zu wenig
Ehre gegeben sein. War dieser Nürnberger Bürger
wirklich ein Luther und ein Hutten zugleich? Er
mag sich an dem Ruhme genügen, die Form geboten
zu haben, in die Dürers Art strömte. Die fast peinliche
Genauigkeit, mit der die individuellen Eigenschaften
des Kopfes
ausgedrückt sind, könnte
solcher Auffassung
wiedersprechen. Alles
Einzelne ist portraitiert

— ja; das Ganze ist
doch eine Vorstellung
Dürers — zugleich die
Sehnsucht der Zeit.
Etwa in solcher Gestalt
wurde der Befreier gedacht
, der deutschevangelische
Kaiser.

Dürer gehört bei
allem heissen Ringen
um die individuelle
Form doch nicht zu
den eigentlichen Portraitisten
— ebensowenig
wie Rembrandt.
Jedes Portrait Dürers
ist ein wenig auch ein
Selbstportrait. Die eigentlichen
Portraitisten

— Holbein ist unter
den grössten — bedürfen
schmiegsamer Schauspielerfähigkeiten
. Kluge
und weltkundige
Männer zumeist, sind

sie bereit, sich aufzugeben, und werden auf fremdem
Boden heimisch, wie sie in fremden Seelen
heimisch werden. Dürer ist nicht unter ihnen.

In der Jugend und im Alter namentlich schuf
Dürer Portraits, während seine männliche Kraft sich
selten dieser Aufgabe zuwandte. Wie die druckende
Kunst mit ihren besonderen Bedingungen das Schicksal
der deutschen Malerei bestimmte, mag der Unterschied
zwischen den frühen und den späten Bildnissen
Dürers etwa so bezeichnet werden: Jene schuf
der Reisser, der Zeichner für den Holzschnitt, diese
der Kupferstecher. In der mittleren Zeit malte
Dürer Mehreres in fremd koloristischer Weise, dar-

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