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Heiligtümern und öffentlichen Gebäuden, liegt angeschlossen
an eine den heiligen Bezirk umgebende
Säulenhalle des Athenatempels die Bibliothek, die
zugleich eine Art Museum war, von Eumenes dem
Zweiten gegründet. Es sind hier und in Alexandrien
zum ersten Mal im Altertum überhaupt Anstalten
dieser Art eingerichtet, und damit den wissenschaftlichen
Bestrebungen, wie sie mit der hellenistischen
Zeit im weitesten Umfange hervortreten, ein breiter
und sicherer Boden geschaffen. Auf diesem Boden
in Pergamon ist die erste Kunstgeschichte erwachsen;
ganz modern mutet es uns an, wenn wir hier die Reste
einer Kunstsammlung finden, die Werke berühmter
Meister aus allen Zeiten der griechischen Kunst enthielt
, Originale und daneben Kopien von Werken,
wie der Athena Parthenos des Phidias, die im Original
nicht zu erwerben waren. Die von Eumenes II. angelegten
Sammlungen hat dessen Nachfolger Attalos II.
erweitert. In seine Regierungszeit (159—138 vor Chr.)
fiel die Eroberung Korinths, die unermessliche Kunstschätze
nach Rom brachte. Attalos machte den
Versuch, ein Gemälde des Aristides, dessen Wert
den Eroberern entgangen war, aus dieser Beute
anzukaufen, aber der ungeheure Preis von 100
Talenten, den er bot, machte die Römer stutzig und
vereitelte die Erwerbung. Derselbe Fürst schickte
Maler nach Delphi mit dem Auftrage, die berühmten
Wandgemälde des Polygnot für Pergamon zu kopieren.
In allen einzelnen Fällen zeigt es sich, wie Sammeleifer
und Kennerschaft hier zusammengingen.
Das steigende Interesse für die „Antike" und ihre
Schätzung haben wenig später in Rom die Kunst in
eine akademische Richtung hineingeführt und eine
Art Renaissance eingeleitet. Das Gleiche ist in
Pergamon nicht eingetreten. Die Kunst hier wurzelte
zu frisch und stark in der Gegenwart, sie war in
sich zu gross und mächtig, um von einer zurückliegenden
Vergangenheit abhängig zu werden. Den
wirksamsten Schutz aber gaben die nationalen Aufgaben
, die die Zeit selbst stellte. Durch glänzende
Siegesdenkmäler Hessen die Pergamenischen Könige
den Ruhm ihrer Schlachten feiern.
Von den grossen Gruppen, die Attalos I. auf die
Burg von Pergamon und ebenso auf die Akropolis
von Athen geweiht hatte, sind Reste und Nachbildungen
einzelner Figuren in den Statuen der
kämpfenden und sterbenden Gallier (vgl. Tafel 53)
erhalten, Werke, die mit ihrer Leidenschaft den
Beschauer in die ganze Wirklichkeit dieser wilden
Schlachten hineinreissen. In einem gewaltigen Denkmal
feierte Eumenes II. die Siege durch den Altar,
den er dem Zeus und der Athena auf der Burg von
Pergamon weihte. Die Kämpfe der Götter und
Giganten, die an diesem Altar in grossen, um den ganzen
Unterbau herumgeführten Reliefs dargestellt sind,
erinnerten wieder an die eigenen Waffenthaten von
Pergamon, ähnlich wie in jenem Weihgeschenk, das
Attalos I. nach Athen stiftete, neben den Gallierkämpfen
Giganten- und Amazonenkämpfe und Perserschlachten
dargestellt waren. Ueber eine Fläche von
fast 150 Meter Ausdehnung waren Gruppen hingeführt
, die immer wieder das Ueberwinden und
Unterliegen schildern — und die Betrachtung ermüdet
trotz der Länge nicht, weil die Begeisterung,
aus der der Entwurf dieser Komposition herausgewachsen
ist, den erfindenden Künstler und die
ausführenden Bildhauer bis zur letzten Szene nicht
verlassen hat. Die ganze Kraft und schöpferische
Phantasie der hellenistischen Kunst scheint in diesem
Riesenwerke, das im Altertum selbst wie ein Wunder
bestaunt wurde, wie in einer höchsten Leistung zu-
sammengefasst. Aber sie ist hier auch erschöpft:
schon in einem Werke wie der Gruppe des Laokoon
vermögen wir heute nur noch die Virtuosität der
Arbeit zu bewundern, wir werden nicht ergriffen
wie beim Anblick der Gigantomachie, weil der Aufbau
gekünstelt und studiert, ihre Leidenschaft berechnet
erscheint.
Die Ausführung der Altarreliefs ist so bewegt,
heftig, kontrastreich wie die Erfindung. Mit starken
Meisselschlägen ist das Relief tief aus dem Marmor
herausgehauen, die Arbeit rasch und feurig vollendet.
Das Zusammenwirken vieler Hände war zur Fertigstellung
solchen Werkes nötig. Die Namen verschiedener
Künstler sind auch unterhalb der Darstellung
erhalten, und innerhalb der ganzen Reihe der wiedergefundenen
Platten sind Ungleichmässigkeiten der Ausführung
leicht zu bemerken; die Einen haben mit mehr
Geschick, Andere mehr im Detail und mit grösserer
Sorgfalt gearbeitet. Von besonders mächtigem
Eindruck sind die Platten, auf denen die beiden
Götter, denen der Altar geweiht war, Zeus und
Athena, kämpfen. Die Athenaplatte ist auf Taf. 70
wiedergegeben, die Textabbildung giebt den Kopf
des Giganten Klytios, des Gegners der Göttin Hekate.
Die Grösse der Behandlung ist an diesem Kopfe,
verglichen mit dem äusserlich ähnlichen Kopfe des
Laokoon, auffällig und bemerkenswert.
Die Reliefs der Gigantomachie sind als dekorativer
Schmuck der Architektur gearbeitet. Sollte es einmal
gelingen, in einem künftigen Neubau des Berliner
Museums den Altar wieder aufzubauen, so würden
wir dieses umfangreichste und vielleicht grossartigste
Skulpturenwerk des Altertums fast ganz wieder in
seiner ursprünglichen Wirkung geniessen und bewundern
können.
Franz Winter.
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