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Die Nachfolger der Van Eyck.
Dem Betrachter der altniederländischen Malerei
ist das 15. Jahrhundert mit seinen Zufallsgrenzen
eine stilhistorische Einheit. Im Beginn des
Jahrhunderts wächst ein Neues überraschend empor:
die national niederländische Naturanschauung. Mit
dem Anfang des 16. Jahrhunderts fallen die Mauern,
die das niederländische Kunstleben umzäunten. Die
Maler vergleichen mit der fremden Art die eigene
und treten aus dem Stande der Unschuld. Vorderhand
wird mehr verloren als gewonnen, da Absicht
und Wissen die Stelle des Instinktes und der Empfindung
einnehmen.
Die niederländische Malerei des 15. Jahrhunderts
gewährt nicht den erfreulichen Anblick des Auf-
wärtssteigens, den etwa das Florentiner Quattrocento
bietet. Was ihre Grösse und ihren Ruhm
ausmacht, liegt eingeschlossen schon in dem ersten
Hauptwerk, in dem Genter Altarwerk der van Eyck.
Wie wir der rechten Vorstellung entbehren, aus
welchen Quellen die Eyck ihre Kraft schöpften,
werden wir geneigt, in dem Genius, der den Genter
Altar schuf, das primum agens zu sehen, die folgenden
niederländischen Maler aber als Schüler aufzufassen
. Dennoch war, soviel wir wissen, kein
bekannter niederländischer Maler — mit Ausnahme
des Petrus Cristus, der nicht viel bedeutet — ein
Schüler der van Eyck im eigentlichen Sinne.
Der Genter Altar dient als Massstab zur Schätzung
aller niederländischen Bilder und aller niederländischen
Maler des 15. Jahrhunderts. Eine strenge Beurteilung
mag daraus folgen, jedenfalls aber eine gerechtere,
als wenn nur moderne Wünsche und moderne
Forderungen vor die alten Malwerke treten würden.
Verglichen mit Jan van Eyck, zeigt Rogier van
der Wey den zwar eine ähnliche Malweise, weit
deutlicher aber ein abweichendes Temperament, eine
ganz andere Anschauung und Absicht. In Tournay
geboren, in Brüssel hauptsächlich thätig, nicht viel
jünger als Jan, wird das Haupt der Brabanter Schule
gemeinhin dem Begründer der flandrischen Malerei
entgegengestellt. Asketisch und relativ altertümlich, ist
der Brüsseler Meister seiner Naturanschauung nach
mehr Plastiker als Maler. Er hat nicht die Ruhe
und den Gleichmut Eycks, der alle Zufallsbildungen
und individuellen Formen der sich nie wiederholenden
Natur, als der gleichen Sorgfalt wert, pietätvoll beachtet
und nachgestaltet. Mehr schöpferischer Dramatiker
als Beobachter, belebt er m.igere, typische, nicht
gar mannigfaltige Gestalten mit starker Empfindung
und stellt dieScenen der Evangelien dar eindringlich und
vorbildlich. Als Prediger der Passion Christi ist er
dem 15. Jahrhundert ungefähr das, was Dürer dem
16. Jahrhundert ist. Dem modernen Menschen wird
es nicht leicht, den Zugang zu seiner starren, den
Sinnen ungefälligen Kunst zu finden. Rogiers Färbung
ist hell, relativ kühl und flach — innerhalb der
tiefen Glut, die im allgemeinen der niederländischen
Malerei des 15. Jahrhunderts eigen ist; malerische
Feinheit in der Darstellung der Landschaft, in der
Wiedergabe der Luftphänomene wird bei ihm weniger
gefunden als bei den übrigen Hauptmeistern des
Jahrhunderts.
Zu den Grossen gehört Hugo van der Goes.
Er ist noch immer nicht recht anerkannt. Sein Hauptwerk
, der in Florenz bewahrte Portinari-Altar (vgl.
Taf. 67), wird in der seelischen Belebtheit von keiner
Schöpfung des 15. Jahrhunderts erreicht. Goes soll
im Wahnsinn gestorben sein. Merkwürdig, dass
gerade die geistige Persönlichkeit Hugos v. d. Goes
durch diese Nachricht blitzartig beleuchtet wird,
während sonst vollkommenes Dunkel über dem
Seelenleben der Maler des 15. Jahrhunderts liegt,
merkwürdig deshalb, weil kein anderer Meister eben
so innig nach dem seelischen Ausdruck ringt wie Hugo
v. d. Goes. Formale Abrundung und formale Vollkommenheit
lagen ausserhalb seines Kreises. Hagere
und hässliche, vom Leben bedrückte, verwirrte und
verwüstete Gestalten hat er mit individuell variiertem
und tiefem Ausdruck beseelt. Die gläubige Sehnsucht
der Köpfe gelang den grossen Meistern des 15. Jahrhunderts
wTohl, Goes aber übertrifft alle, da auch
die Leiber und die Hände in seinen Bildern, von
der Empfindung durchströmt, sich zu bewegen und
zu zittern scheinen. Neben dem Portinari-Altar
würden alle altniederländischen Gemälde — mit
Ausnahme einiger Köpfe Jan van Eycks — unbeseelt
stehen, die allermeisten würden überdies
malerisch reizlos aussehen und der Raumillusion
entbehren.
Dierick Bouts erscheint trübsinnig und schwerfällig
, ungeschickt und schwunglos in der Anordnung,
mit Eigenschaften, die etwa durch seine holländische
Herkunft erklärt werden. In der Sorgfalt
der Ausführung aber, mit der glühenden Tiefe
seiner Färbung erreicht er beinahe Jan van Eyck,
und in der Bestrebung, die Gestalten mit der Landschaft
innig zu verbinden, geht er über alle Vorgänger
und Zeitgenossen hinaus.
Memling und Gerard David gehören schon
durchaus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
an, einer weicheren und sanfteren Zeit. Mit ihnen
verlassen wir das Heroenalter der niederländischen
Malerei. David namentlich bezeichnet schon den
Niedergang. Seine Kunst hat kranke Züge.
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