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Porzellanfiguren.
Wer wie ich vor 30 Jahren Kunststudien trieb,
der lernte auf der Universität, dass das Rococo
die Zeit des tiefsten Verfalles der Kunst gewesen.
Porzellanfiguren dieser Zeit — man nannte sie höchstens
Porzellanpuppen — durften ungefähr ebensoviel
Anspruch auf Würdigung
erheben als
die Zuckerengel auf
den Baumkuchen und
wurden den Kindern
zum Spielen gegeben
. Wie hat sich
das Alles geändert!
Eine kleine Meissener
Porzellanfigur von
guter Erhaltung gilt
im Kunsthandel 1000
Francs, und, hat sie
gar
eine Krinoline
an, 5 bis 8000 und
noch mehr.
Ueber Mangel
an Wertschätzung
können sich die
„Puppen" schlechterdings
nicht mehr beklagen
, ist doch selbst
auf dem Kapitol in
Rom ein Saal einer
dorthin geschenkten
Sammlung von Porzellanfiguren
eingeräumt
.
Aber mit dieser Liebhaberei des Publikums
hält die Kunstwissenschaft nicht Schritt. Die Geschichte
der Plastik weiss von Porzellanfiguren
nichts, hat sie sich doch überhaupt erst allmählich
entschlossen, das achtzehnte Jahrhundert als Kunstperiode
anzuerkennen. Was man von der Plastik
dieser Zeit zu rühmen weiss, ist höchstens ihre Ge-
Der
schicklichkeit für dekorative Wirkungen, ihr Zusammengehen
mit den Linien des Baus, dagegen fehle ihr
die monumentale Ruhe und das innerliche Seelenleben,
die Stücke seien maniriert ohne individuelles Gepräge,
sie kämen höchstens als Gesamtgruppe in Betracht.
Mit dieser generellen
Ablehnung
wird es aber auf die
Dauer nicht eehen.
Speziell unter den
Porzellanfiguren sind
zweifelsohne Stücke
von so vollendeter
Kunst, dass sie genau
ebenso Anspruch auf
Würdigung erheben
dürfen wie die griechischen
Terracotten
von Tanagra und die
Bronzefigürchen der
Renaissance. Wir
dürfen nicht vergessen
, dass im XVIII.
Jahrhundert die besten
Kräfte der
Künstlerschaft für
die damaligen fürstlichen
Porzellanfabriken
herangezogen
wurden. Man
denke an Melchior in
Mainz, an Gottfried
Schadow in Berlin.
Uns erscheint das Porzellan neben Elfenbein
und Bronze als eine Art minderwertiges Material,
im XVIII. Jahrhundert galt es als das wertvollste
neben den Edelmetallen. Die Freude, das Geheimnis
des Porzellanmachens entdeckt zu haben, war so
gross, dass man alles an dieses Lieblingskind der
Zeit wendete. Porzellan und Rococo stehen in einer
erste Direktor der Berliner Porzellanfabrik
Grieninger und seine Familie (1765).
Relief in Biscuitmasse, h. 0.2g.
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