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Florentiner Wandgrabmäler.
Nichts natürlicher, als dass für Form und
Schmuck der Grabmäler die religiös-philosophischen
Gedanken massgebend sind, die sich ein
Volk und eine Zeit vom Tode und von dem Schicksal
der Verstorbenen im Jenseits gebildet hat.
Das XIV. Jahrhundert, das Trecento, in welchem
unter den Händen toskanischer Meister das Wandgrab
seine erste künstlerische Gestalt empfing, war
einerseits erfüllt von den Schrecknissen des Danteschen
Inferno, andererseits lag es im Bann einer wenn auch
hie und da erschütterten, doch noch ungebrochenen
kirchlichen Gewalt, der sich der Einzelne auf Gnade
und Ungnade willig ergab. Das eine machte die
Gewissen belastet und unfrei, das andere zwang
herrischen Stolz immer wieder zu Gehorsam und
demütiger Unterwerfung. Beides deuten die Grabmäler
der Epoche an. In halber Höhe der Nische
auf streng ornamentiertem Unterbau liegt der Tote
in regloser Starre; Engel ziehen beiderseits die Vorhänge
vor seinem Lager zurück; im oberen Teile
des Aufbaues thront, göttlich-unnahbar, die Madonna,
während ihr zu Füssen, in tieferer Region, von
seinen Schutzheiligen empfohlen, der aus dem Leben
Geschiedene das Erbarmen der Madonna bussfertig
und reuevoll anfleht. So aufgebahrt in den weiten
Hallen seiner bevorzugten Kirche, bleibt der Tote
noch im steinernen Abbild eine Mahnung und ein
Beispiel für die Glaubensbrüder, die zu Füssen
seines Grabmals auf den harten Fliesen knieen, eine
Mahnung, dass auch ihnen ein gleiches Todeslos
beschieden ist, ein Beispiel, gleich ihm im Leben wie
im Tode demütig und inbrünstig vor der Madonna
für das Heil der sündigen Seele zu beten. Gegen
den Ernst und die Strenge des Aufbaues kämpft
vergeblich die noch etwas ungelenke Anmut antikisierenden
Ornamentes. Man fühlt, nicht Stolz, noch
Trostbedürfnis haben sich ein Denkmal gesetzt: hier
hat eine geängstete Seele sich selber Altar und ewige
Bussstätte errichtet. Dem entspricht auch die Bescheidenheit
der Inschriften mit ihren seltsam feierlichen
und schwerfälligen gotischen Charakteren.
Nur wenige der Vornehmsten und der Begütertsten
haben in diesen harten und grausamen
Zeiten für ein solches Grabmal Sorge tragen können.
Die meisten treffen wir in Neapel, wohin jedenfalls
toskanische Künstler den heimischen, namentlich
von Giovanni Pisano ausgebildeten Grabmaltypus
verpflanzten. Allein die Filiale hielt die heimische
Tradition nicht unberührt aufrecht, sondern verquickte
sie mit den gotischen Elementen des in Neapel
vorgefundenen Kunstbestandes. Den in Toskana üblichen
ornamentierten Unterbau ersetzen allegorische
Gestalten als Karyatiden, die den Sarkophag, auf
welchem der Tote ruht, tragen. An Stelle der Medaillons
mit Heiligen an der Vorderseite des Sarko-
phages tritt nicht selten eine Scene, die den Verstorbenen
mit seinem Gefolge in irgend einer charakteristischen
Situation zeigt. So erscheint auf dem Grabe
des Raimondo del Balzo der verstorbene jagdlustige
Herr inmitten seiner Falkoniere, während auf dem
seiner Gemahlin Isabella die Herrin mit dem Schosshündchen
unter ihren Dienerinnen sitzt. Aber auch
hier ist der Eindruck ernst, die Geberde gemessen,
der Ausdruck starr und schweigsam. Der Stein
redet allein von der Unerbittlichkeit des Todes und
der Hinfälligkeit alles Menschlichen.
Im neuen Jahrhundert, im Quattrocento, waren
die Zeiten zwar nicht minder erregt und gewaltthätig,
aber der Mensch trat ihnen freier und gefesteter
gegenüber. Die unaufhaltsam vordringende antike
Gultur, die den dogmatischen Bann der Kirche
brach, erfüllte das Individuum mit einem ganz
neuen Wertgefühle seiner selbst. Von der heiteren
Höhe, welche die Lebensanschauung der Alten erstiegen
, genoss man eine unbeschränktere und freiere
Schau über Dasein und Jenseits. Wie die griechischen
Mustermenschen trat man zu Gott und den
Heiligen in ein intim - menschlicheres Verhältnis.
Das drückte sich auch alsbald in den Grabmälern
aus, obwohl diese alle Elemente ihrer trecentistischen
Vorfahren übernahmen.
Das erste Grabmal dieser Epoche, das des ExPapstes
Johann XXIII (vgl. Taf. 128), ist bei allen
durchgreifenden Neuerungen doch mehr ein Compro-
miss zwischen der alten und der neuen Weltauffassung.
Es schliesst sich im Aufbau mit der Freiheit eines
selbständigen Kunstwerkes den neapoletaner Gräbern
an, wandelt jedoch deren schwerfällige gotische Formen
in die eleganten und leicht aufstrebenden der Renaissance
. Den gotischen Baldachin ersetzt eine zelt-
förmig geraffte Draperie, der Unterbau mit allegorischen
Gestalten ist wesentlich erhöht, Löwenfüsse
stützen das Paradebett. Der Tote ruht in friedlichem
Schlummer von seinem furchtbaren Lebensschicksal
aus, und über ihm in einer Muschelnische, nicht
mehr auf feierlichem Throne, wacht die Madonna.
Geflügelte Putten halten auf der Vorderseite des
Sarkophages die Inschrifttafel, die mit hörbarem
Stolze von der weiland Papstwürde des Toten redet.
Der strenge, herbe Charakter des gotischen Grabmals
ist umgewandelt in die würdevolle Feierlichkeit
eines Denkmales des Verstorbenen. Die kommenden
Meister hatten nur die Pflicht fortzubilden, und sie
haben es nach meisterlicher Art gethan. Immer
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