http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_11/0096
mit Jesus und Johannes. Zaghaft baut Raffael
zuerst die saubere feinlinige Pyramide der Madonna
del Cardellino (vgl. Taf. 17 und Abb. S. 69), wo
die Kinder gleichmässig zu Seiten der sitzenden
Maria stehen. Dann tritt eine Differenzierung ein:
Johannes etwa wird zum Knieen gebracht; beide
Kinder kommen auf eine Seite; die Gruppe wird
enger zusammengenommen; die Madonna kommt
tiefer zu sitzen und schliesslich entsteht so ein Bild
von dem wundervoll concentrierten Reichtum der
Madonna Alba in Petersburg, die gleich der Sedia
den römischen Meisterjahren angehört (vgl. Taf.
155 und Abb. S. 1).
Die Aufgabe, eine
thronende Madonna
mit Heiligen zusammen
zu ordnen, hat die vollkommene
Lösung auch
erst in Rom gefunden.
Eine schönere Fügung von
fünf stark differenzierten
Figuren als in der Madonna
del Pesce (Madrid) giebt
es nicht mehr: so geschlossen
und doch frei
flüssig und das Ganze
auf die glücklichste Weise
auch geistig zusammen
gebunden. Nirgends ein
Reichtum an kunstgewerblichen
Dingen; aber wie bedeutsam
wirkt hier das
eine Motiv des halbaufgenommenen
Vorhangs,
der schliesst und doch
nach einer Seite Luft
giebt und mit seiner
Diagonale [die Bewegung
der Hauptgruppe mächtig unterstützt. —
Neben der thronenden Madonna endlich, die
Madonna in Wolken, die Sixtina (vgl. Taf. 75. 76.),
mit der man die Madonna di Foligno (vgl.
Raffael, Studie aus der römischen Zeit.
Federzeichnung (verkleinert). Wien, Albertina.
Photographie von Braun, Clement & Cie., Dornach.
Taf. 146. 147.) als Vorstufe zusammen halten
muss. Das Sitzen in der Wolkenglorie ist
hier aufgelöst in ein Wandeln und die Madonna
soll neben den Heiligen als eine blosse vorüber
gehende Erscheinung wirken. Ohne den Contact
mit den übrigen Gliedern im Bilde zu verlieren,
ist sie etwas ganz Einziges, Isoliertes. Sie allein
erscheint in völliger Silhouette, in reiner Face, als
grosse Masse, aufrecht, bewegt. Die assistierenden
Heiligen begleiten mit lauter Contrastmotiven. Nichts
ist in diesem wunderbaren Bilde, was anders gedacht
werden könnte: dem Aufwärts im Blick des Papstes
entgegnet das Abwärts im
Blick der Barbara, dem
Auswärtsweisen auf der
einen Seite das Einwärtsgreifen
auf der andern
u. s. w. — alles hält sich
gegenseitig im Bann. Die
Mittel der bildlichen Rede
sind hier von Raffael mit
der strengsten Oekonomie
gehandhabt worden.
Man glaubt so gern
an Wunder in der Kunst
und die Sixtina möchte
man vor allem als eine
unmittelbare Eingebung
vor jeder Wirkungsrechnung
gesichert wissen.
Allein es geschieht dem
Künstler kein Abbruch,
wenn man sich klar
macht, dass der Eindruck
des Bildes nicht nur auf
die Augen der Maria sich
gründet, sondern auf dem
Bau des Ganzen beruht,
wo alles sich gegenseitig hebt und in Wirkung setzt.
Raffaels Ruhm bleibt, dass man über der Wirkung
die Mittel vergisst und nie die Konstruktion als
solche sich fühlbar macht.
Heinrich "Wölfflin.
Anselm Feuerbach.
(1829—1880.)
Anselm Feuerbach ist eine einsame Grösse in
der deutschen Kunst. Seine Thätigkeit war
von dem Ideal beherrscht, klassische Werke hervorzubringen
, als ein Einzelner gegen eine Zeit und
eine Kunst, die um Himmelsweite von diesem Ideal
entfernt war. Die Geschichte und das Geschick
Anselm Feuerbachs liegt in diesen Thatsachen.
In einer Zeit lebend, deren Sinne so ungebildet
waren, dass die Kunstkritik Cornelius neben Michel
Angelo, Kaulbach neben Raphael und Makart neben
Paul Veronese stellte, blieb er unbefangen genug,
den ungeheueren Abstand zu fühlen. Wenn es
Menschenart ist, fremde und eigene Leistungen mit
ungleichem Masse zu messen, so erschien hier ein
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_11/0096